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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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nach ist Mr.   Dobbs ohnehin kein sehrleidenschaftlicher Plauderer. Das Zimmer? Ihr habt ihn doch nicht   …»
    «Meine Güte, nein. Wir haben noch ein anderes kleines Überwachungszimmer am andern Ende der Station. Wenn Denzil noch unter uns wäre, könnte ihn Mr.   Dobbs nicht einmal riechen.»
    Merrily überlief ein Schauer.
    «So. In der Kathedrale zusammengebrochen, heißt es», sagte Cullen.
    «Ja, so heißt es.»
    «Also, ich gehe demnächst nach Hause, aber ich sorge dafür, dass du über sämtliche Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten wirst.»
    «Danke.»
    Kurze Stille in der Leitung. Dann sagte Eileen: «Komisch, wie es so geht, oder? Zuerst dreht es Mr.   Dobbs so hin, dass du diesem bösartigen Denzil in die Fänge gerätst, kurz bevor er abtritt, und jetzt   … Hast du herausgefunden, warum er das mit dir gemacht hat?»
    «Nein», sagte Merrily. «Und so, wie es jetzt aussieht, werde ich es vielleicht nie erfahren.»
    «Weißt du», sagte Cullen, «manche Patienten reden im Schlaf über alle möglichen Sachen. Ich werd mal die Ohren spitzen.»

21
Kreidekreis
    Sie kannte den Text, natürlich,
sie kannte den Text
. Aber er fiel ihr nicht ein. Sie beugte sich dicht über ihn – sein Atem ging unregelmäßig, seine Augen waren geschlossen. Tat er das willentlich, um sie nicht sehen zu müssen? Sie näherte sich mit dem Kelch seinem Gesicht, das wie versteinert auf dem Krankenhauskopfkissen lag.Der weiße Bezug erinnerte an ein Altartuch. Sie neigte ihre Hand ganz leicht, sodass der Wein langsam aus dem Silbergefäß zwischen seine Lippen tröpfelte. Ein Tropfen blieb auf seiner Unterlippe liegen. Er sah aus wie Blut.
    Blut. Ja. Ja, natürlich.
    «Das ist das Blut unseres Herrn, Jesus Christus, das für dich vergossen wurde, damit dir das ewige Leben geschenkt wird. Trink dies zum Gedächtnis daran, dass Christi Blut   …»
    Gierig sog Thomas Dobbs den Wein auf. Sie war so dankbar, dass ihr der Text wieder eingefallen war, dass sie den Kelch erneut und etwas stärker neigte, sodass der Wein zwischen seine Lippen floss und seinen Mund füllte. Sie begann das Vaterunser zu beten.
    «Vater unser, der Du bist   …»
    Es gab ein knackendes Geräusch, wie zerberstender Stein, und seine Augen klappten auf. Sie erschrak. Dobbs’ Augen waren grau, und als er erkannte, wer ihm das Sakrament spendete, trübten sie sich und schäumten über wie ein Fluss an einer Stromschnelle.
    «Geheiligt sei   …»
    Dobbs’ Schultern bebten.
    «Dein Reich   …»
    Sie beobachtete, wie er sich in dem metallenen Krankenhausbett aufrichtete und die Wangen aufblies. Sie konnte nicht zurückweichen, das hier war schließlich ihr Job. Sie murmelte weiter das Gebet. Als er ihr mit hervortretenden Augen den Messwein mit einem Schwall ins Gesicht spuckte, fühlte er sich tatsächlich an wie frisches Blut, das warm an ihren Wangen herablief.
    Das war ihr Job, sie durfte nicht zurückweichen.
    Seine Hand schob sich unter dem Laken hervor, und als er wie ein Schraubstock ihr Handgelenk packte, lösten sich mit leisem Ploppen die grünlichen Schläuche aus seiner Nase.
    Sie schrie nicht. Sie war Pfarrerin. Sie wachte nur leise wimmerndauf – nach kaum einer Stunde Schlaf auf dem Sofa und dreißig Sekunden bevor der Wecker losging.
     
    «Du siehst furchtbar aus», sagte Ted Clowes nach der Frühmesse. Als Leiter des Kirchenvorstands und Merrilys Onkel konnte er sich das Recht auf kränkende Äußerungen herausnehmen. «Das kommt bestimmt von diesem verdammten Exorzismus-Blödsinn. Ich habe es dir ja schon gesagt, ich habe eine extreme Abneigung gegen
alles
, was nach Evangelikalismus riecht.»
    Onkel Ted, ein Rechtsanwalt im Ruhestand, hatte sich «ausführlich» . (in der
Daily Mail
) über den Toronto-Segen und mehrere Kirchen im Londoner Raum informiert, in denen Gemeindemitgliedern mit emotionalen Problemen vor der vollständig versammelten Gemeinde ihre «Teufel» ausgetrieben worden waren. Er überprüfte Merrilys Gottesdienste regelmäßig auf «Gefahrenzeichen».
    «Und all die Zeit, die dich das kostet – Zeit, die du besser deiner eigenen Gemeinde widmen würdest, Merrily.»
    «Ted, was hätte ich wohl mitten in der Nacht in der Gemeinde zu tun gehabt?»
    «Aber sieh dir mal an, wie du aussiehst! Diese Ringe unter deinen Augen. Du siehst aus, als hätte dich jemand zusammengeschlagen. Ich sage dir, so etwas wird in einem Dorf nicht übersehen. Die Hälfte dieser alten Weiblein bekommt kein Wort von deiner Predigt

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