Mittwinternacht
Songschreiber. Du hattest diese Melancholie von … Wie hieß er noch? Fällt mir nicht mehr ein … Mom hatte eine Platte von ihm.»
«Nick Drake?» Durch die Scheibe sah Lol die beiden nicht songschreibenden Bandmitglieder ein Schlagzeug im Studio aufbauen.
«Oh, jetzt hab ich’s wieder … James Taylor.»
«
Das
ist ja interessant», sagte Lol.
James nickte wissend. Als Therapeutin hatte ihm seine Mutter bestimmt von den psychiatrischen Problemen erzählt, die James Taylor in seiner Jugend gehabt hatte. Deshalb hatte er den Vergleich überhaupt gezogen. Um Lol wissen zu lassen, dass er seine Geschichte kannte.
Er lächelte teilnahmsvoll auf Lol hinunter. «Du hast genau das Richtige getan, finde ich. Ich meine, als du aufgehört hast. Wenn jeder aufhören würde, Platten aufzunehmen, wenn er am besten ist, müssten wir uns viel weniger Schrott anhören. Von mir aus hätte man Lennon ruhig zehn Jahre früher erschießen können.»
«Das denkst du also.»
«Aber zuerst hätte einer McCartney erschießen sollen», sagte Eirion. Er stammte aus Cardiff – aus einer dieser reichen, walisischsprechenden Familien –, trotzdem klang sein Englisch eindeutig nach Hampstead.
«Eirion sagt fünfundzwanzig», meinte James. «Ich sage siebenundzwanzig, im Zweifel für den Angeklagten und so.»
«In dem Alter sollten Rockmusiker zwangspensioniert werden», erklärte Eirion. «Darüber haben wir schon oft diskutiert.»
«Ich finde, eine halb freiwillige Sterbehilfe wäre die beste Lösung», sagte Lol. «Wenn sie aufhören zu spielen, werden sie immer krank oder fangen an, Drogen zu nehmen, und dann werden sie zum Sozialfall, und der Staat muss für sie zahlen.»
Darüber musste Eirion einen Moment nachdenken. «Sie können sich doch bestimmt eine private Krankenversicherung leisten, oder etwa nicht?»
Unter dem Mischpult rumpelte es. Lol glaubte, so etwas wie
«Verwöhnte kleine Scheißer»
zu hören. So langsam machte ihm die Sache Spaß. Eigentlich fühlte er sich heute sowieso in … fast … jeder Hinsicht besser. Am Morgen hatten sich die Fragmente eines Songs, die ihm schon seit beinahe einem Monat durch den Kopf gegangen waren, auf einmal perfekt zusammengefügt.
«Wie viele Songs hast du eigentlich schon geschrieben, James?»
«Wie viele sind das, Eirion? So zwanzig, zweiundzwanzig?»
«Ja, so ungefähr. Aber ein paar davon sind inzwischen echt peinlich – Sachen, die wir vor mehr als einem Jahr gemacht haben.»
«Echt so alt, ja?», sagte Lol.
James sah ihn mürrisch an. «Dad sagt, er zahlt nur für vier Songs. Aber der soll mal die Luft anhalten. Das wäre reine Zeit- und Arbeitsverschwendung. Abgesehen davon haben wir uns in letzter Zeit richtig reingehängt und sind verdammt effizient geworden. Es würde nicht viel länger dauern, wenn wir die anderen sechs Songs auch noch gleich aufnehmen.»
«Also gleich ein ganzes Album, ja?», sagte Lol.
«Für alles andere lohnt sich der Stress nicht», sagte James. «Was meinst du?»
«Wir warten mal ab, wie’s läuft», sagte Lol. «Das Studio gehört dem anderen Typen da.»
Denny tauchte unter dem Mischpult auf. Sein großer Ohrring pendelte wild hin und her. «Problem gelöst», verkündete er.
«Oh, jetzt verstehe ich.» James steckte sein Rugby-Shirt in die Jeans und zog sich den Riemen der Gitarre über den Kopf. «Du bist hier auch der Toningenieur.»
«Und die Putze», sagte Denny mit einem drohenden Unterton, «und der Teeboy.»
«Nein, ich meine … Ich will ja keinem zu nahe treten. Es macht uns nichts aus, wenn ihr Jungs hier rumhängt. Wir wollen produziert werden, aber wir müssen auch ein bisschen experimentieren können. Wir brauchen nur ein bisschen … Anleitung, das ist alles. Ich meine, versteht ihr, ich will nicht arrogant klingen oder so.»
«Auf die Idee wäre ich ja nie gekommen», sagte Lol.
Er fragte sich, wie er sich jetzt fühlen würde, wenn er, statt Merrily Watkins wiederzutreffen, die gestrige Nacht in Moons Scheune verbracht hätte – auf Moons Futon.
Aber so war es nicht gekommen, und er war froh darüber.
Am Spätnachmittag lag Merrily wach im Bett und dachte darüber nach, was sie gerade geträumt hatte: Die schlanke Val Hunter rittlings auf Mick in einem hellerleuchteten Zimmer mit hoher Gewölbedecke. Merrily stand in der Tür und stellte geschockt fest, dass sie ein sehr kurzes schwarzes Nachthemdchen trug. «Kommen Sie, Merrily!», hatte der Bischof ungeduldig gerufen. «Machen
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