MM-City Wien: Das Reisehandbuch zur Donaumetropole - kompakt, übersichtlich, informativ (German Edition)
wieder durch Hochwasserkatastrophen und kriegerische Ereignisse verwüstet und 1624 von Ferdinand II. zum Wohngebiet für die aus dem Stadtzentrum verbannte jüdische Gemeinde erklärt, bis dessen Nachfolger Leopold I. (1657–1705) die Juden 1670 gänzlich aus Wien vertrieb, worauf das Gebiet in Leopoldstadt umgetauft wurde.
Mit der Eröffnung der Kopfbahnhöfe für Nord- und Nordwestbahn entwickelte sich die Leopoldstadt im Verlauf des 19. Jh. zum wichtigen Verkehrsknotenpunkt, Schauplatz der Weltausstellung (1873) und wiederum bevorzugten Wohngebiet einer jüdischen Gemeinde, die sich seinerzeit hauptsächlich aus osteuropäischen Immigranten rekrutierte. In den 1920er Jahren profilierte sich der Stadtteil als Standort der Wiener Messe, die allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg ins Stadtzentrum übersiedeln und erst in den späten 1980er Jahren an den Praterrand zurückkehren sollte. Obgleich das blühende jüdische Gemeinde- und Kulturleben mit dem Anschluss an Hitler-Deutschland ein jähes Ende fand, ist die Leopoldstadt infolge der jüngsten Einwanderungswellen osteuropäischer Juden in den 1980er und 90er Jahren auch heute wieder mehr als jeder andere Wiener Stadtteil von jüdischer Alltagskultur geprägt. 40 Prozent der 7.000 Wiener Juden leben derzeit in der Leopoldstadt, die wegen der besonderen Dichte an Synagogen, jüdischer Kultur- und Sozialeinrichtungen, koscherer Geschäfte und Restaurants vor Ort bisweilen Mazzeinsel genannt wird.
Spaziergang 9: Leopoldstadt und Prater
Spaziergang
Los geht’s an der luftigen Glas- und Metallkonstruktion des neuen Bahnhofs Praterstern, wo sich Regional-, S-, U- und Straßenbahn-Linien und täglich gut 100.000 Nahverkehrsreisende treffen.
Von dort ist der → Prater in wenigen Gehminuten erreicht, während man in entgegengesetzter Richtung über die Praterstraße ins Herz der Leopoldstadt vordringt.
Heute wieder jüdisch geprägt
An der Nordflanke der unspektakulär alltagsgrauen Vorstadtstraße, die im 19. Jh. einmal eine vornehme Adresse war, registrieren wir zunächst das Tegethoff-Monument , das den gleichnamigen österreichischen Seehelden ehrt, der der italienischen Flotte in der Seeschlacht bei Lissa (1866) eine vernichtende Niederlage beibrachte.Wir passieren den sog. Dogenhof , ein mehrstöckiges Wohnhaus im Stil eines venezianischen Palazzo (Nr. 70), und steigen im Haus Nr. 54 zur → Johann-Strauß-Gedenkstätte hinauf. Aus der Wohnung des „Walzerkönigs“ wieder auf die Praterstraße hinausgetreten, bewegen wir uns zum Nestroyhof bzw. Nestroyplatz, die ihre Namen dem großen VolksdichterJohann Nestroy (1801–1862) verdanken, dessen sozialkritische Possen seit den 1850er Jahren im von ihm selbst geleiteten, schon lange geschlossenen Carl Theater schräg vis-à-vis Erfolge feierten.
Am Nestroyhof, wo seit Herbst 2009 das → Theater Nestroyhof Hamakom die dort an der vorletzten Jahrhundertwende begründete (jüdische) Theatertradition fortschreibt, biegen wir links in die Tempelgasse ab, wo 80 Jahre lang der im maurischen Stil gestaltete Leopoldstädter Tempel zum Gebet rief. Heute erinnern ein Mahnmal in Gestalt schlanker weißer Säulen und eine Gedenktafel am gut bewachten Tor des an gleicher Stelle erbauten Psychosozialen Zentrums ESRA an die ehemals größte Synagoge Wiens, die neben vier weiteren Leopoldstädter Synagogen beim antisemitischen November-Pogrom von 1938 niedergebrannt wurde. Übrig geblieben ist allein der Gebäudetrakt an der Tempelgasse 3, in dem 1893 ein angesehenes Rabbiner- und Religionslehrerseminar gegründet worden war und heute eine Einrichtung der jüdisch-orthodoxen Organisation Agudas Israel untergebracht ist.
Auf die Praterstraße zurückgekehrt, wechseln wir die Straßenseite, um einem vor einem alten Wohn- und Gasthaus pittoresk postierten Nestroy-Denkmal die Aufwartung zu machen.Wenige Meter dahinter, wo die Prater- in die Untere Donaustraße einmündet, ist gerade im postmodernen Ensemble mit dem von Neumann & Partnern entworfenen Uniqa Tower (2004)und Hans Holleins Generali Media Tower (2000) ein Hotelturm des französischen Stararchitekten Jean Nouvel (Sofitel-Gruppe) in den Himmel gewachsen, der zusammen mit besagtem Media Tower seines österreichischen Kollegen an der Taborstraße gleichsam ein Tor zur Leopoldstadt formiert.
Wir durchschreiten die hoch aufragende Schleuse aus Stahl und Glas und finden uns auf der quirligen Einkaufsmeile Taborstraße wieder, die von der Kirche und dem
Weitere Kostenlose Bücher