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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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zurückkehren, tröstete mich Lucija. – Und du? Beinahe hätte ich losgeheult. Dann küsste ich ihre schmalen Augen und noch schmaleren Lippen.
    Das Lager dauerte kaum noch drei Tage. Die Mütter, die aus Kaunas waren, hatten einen Bus gemietet und holten ihre Sprösslinge früher nach Hause. Um Schnaps für das Abschlussfest zu organisieren, reiste der Lagerleiter sogar ins weißrussische Grodno. Die vom Krieg verängstigten Litauer hatten zu Hause alles bis zur letzten Flasche aufgekauft, selbst die Magazine hatten sie geplündert. Und an jenem Tag, als bekannt gegeben wurde, dass das Personal zum Krebsfang fährt, an den See, dessen einer Teil schon in Polen liegt – was für ein Vertrauen der örtlichen Grenzorgane! –, erreichte ein Fahrzeug den Ort, das sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich zog, die es zu sehen bekamen: sehr lang, mit seltsam gewölbten Seiten und einem ausgesprochen dumpfen Motorengeräusch, behäbig und unförmig. Schnaufte schon vor einem kleinen Hügel, bis es schließlich den Park ansteuerte, wo es, unter den Linden und unweit eines Fußballtors, zum Stehen kam. Die alten Mütterchen auf dem Kirchhof blickten ihm ebenso hinterher wie die Säufer, die vor der Kneipe auf den Stufen saßen, alle waren neugierig. Scheint irgendwie kein Reisebus zu sein, murmelte die Lehrerin Saulynienė, aber der Lagerarzt erklärte es sofort: Fluorografie. Alle waren aufgerufen, sich die Lunge röntgen zu lassen. Dann gab er dem Bus einen beinahe offiziellen Namen: Mobile Röntgenstation . Wir fuhren unterdessen hinaus, um Krebse zu fangen, erwischten auch einige Eimer voll, kochten sie direkt am Seeufer, sangen, bewirteten auch die Grenzbeamten, der Röntgenbus war ganz und gar in Vergessenheit geraten. Und zum ersten Mal sah ich Lucija ordentlich beschwipst. Sie heulte und quengelte wie ein kleines Mädchen, ließ sich nicht beruhigen, mich nicht mal an sich ran. Auf einmal sprang sie in den anderen See, schwamm und kletterte wieder heraus, pitschnass und lachend. Zitternd hockte sie dann am Lagerfeuer und knackte mit Heißhunger Krebspanzer. Erst spät in der Nacht fuhren wir ins Lager zurück. Lucija ging allein. Zur Mathematikerin. Ich ließ mich neben dem Hausmeister und dem Fahrer ins Bett fallen.
    Der Bus indes, einem Dinosaurier ähnlich, stand auch am nächsten Morgen an seinem Platz. Jetzt wusste es schon der ganze Ort: Sie kontrollieren die Lungen. Der wird hier so lange stehen, bis sich auf dem Schirm der dort eingebauten Apparatur der Brustkorb und die sich unruhig hebenden Lungenkonturen auch des letzten Einwohners abzeichnen. Der Staat würde diejenigen weder verstehen noch tolerieren, die sich jener prophylaktischen Kontrolle zu entziehen versuchten. Sie glichen nach regierungsamtlicher Auffassung Saboteuren. So verstanden auch Leute, die sich völlig gesund fühlten: Durchleuchten ist Pflicht!
    Der Bus erregte den Ort auf eigentümliche Weise, man konnte nicht sagen, dass er Schrecken verbreitete oder die Einwohner ihrem gewohnten Lebensrhythmus entfremdete, das keineswegs. Aber die Männer, die in einem Pavillon des Parks saßen und Bier tranken, näherten sich bereits, prüften mit einem leichten Fußtritt die Reifen, bestaunten die Seltsamkeiten der Karosserie, stritten sich, ob dieses Ungetüm in der Lage sei, die ihnen gut bekannten Anhöhen der Umgebung zu nehmen. Neugierig war man auch, wie es innen aussah, doch vorerst stand der Bus abgeschlossen, die schmalen Fenster von gelben Gardinen verhangen und wer weiß von was noch, um sie vor Lichteinfall zu schützen.
    Die Besatzung der Röntgenstation war nicht zahlreich, sie glich eher einer Art Einsatzkommando, ich weiß gar nicht, warum ich den Bus mit einem Schiff vergleiche. Es sah aus, als seien die Lungenspezialisten hier früher schon einmal gewesen, denn sie spazierten durch den Ort, ohne zu fragen, was wo zu finden sei. Andererseits gab es da nicht viel zu fragen, alles lag gleichsam auf der flachen Hand: die Kirche, die Kneipe, der Rat des Kreises, einige kleine Ämter, ein Sägewerk, die Schule und die Apotheke. Na, auch einen Laden für landwirtschaftliches Gerät gab es, aber dort ließen sich die Gäste nicht blicken. Zum Kommando gehörten: der leitende Arzt, Röntgenologe , ein noch junger Mann, der Fahrer und eine Laborantin, letztere noch ein Kind. Dieses Kind ließ der Chauffeur , ein sonnengebräunter, strohblonder, hoch gewachsener Bursche, nicht aus den Augen. Das Pärchen richtete sich mit einer Angel auf

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