Mobile Röntgenstationen - Roman
als auch an den zu langen Armen. Aldutė hätte ich nicht erkannt, sie war ordentlich in die Breite gegangen, mit Ringen behängt, dazu kräftig gepudert und geschminkt. Krutulukas hatte sich kaum verändert, angenehm, lebhaft, fast der Alte. Es stimmt, diese Praktikantinnen rauchten nicht und fluchten nur litauisch, diese Flüche erschienen mir ganz harmlos, obwohl sie aus Mädchenmündern dennoch seltsam klangen. Ihre Pioniere nannten einige von ihnen Scheißstückchen. Sehr bildhaft, gewiss, aber warum gerade so?
Kehren wir zum Röntgenbus zurück. Nachdem es dämmerig geworden war, erklangen auf dem Platz die aus Holz gefertigten eckigen Gitarren, der Twist war schon vom Shake abgelöst worden, aber die meisten bevorzugten Freistil, jeder, wie es ihm einfiel. Die Tanzveranstaltung war gut besucht von Wassersportlern, potenziellen Olympioniken, die hier ebenfalls ihr Lager hatten, es tanzten Paddelbootchampions und Kanuten, die der Stadt allerhand Ärger machten, weil sie Enten, Reiher und andere Wasserbewohner aufscheuchten. Auch die einheimische Jugend, die den Gästen nicht nachstehen wollte, legte sich kräftig ins Zeug. Nur mir verbot Lucija, mich gehörig zu amüsieren, wie gern ich ihr gehorchte! Die Tänzer brausten aus allen Ecken heran, einige aus den umliegenden Dörfern, mit Javas und I ŽUs . Der Sommer ist stets kurz. Die Fahrräder und selbst der Viatka , ein Motorroller, erschienen, vergleicht man sie mit heutigen Modellen, freilich mehr als bescheiden. Neben den langbeinigen, flott frisierten jungen Mädchen, die zur Mannschaft gehörten, verblassten unsere Praktikantinnen ebenso wie die Damenwelt aus dem Ort. Dafür stellte der unerwartet auftauchende Röntgenologe Bladžius sämtliche Männer in den Schatten, in der Stadt hatte man sich diesen nicht eben häufigen Namen bereits eingeprägt. Selbst den strohblonden Busfahrer mit weißem Hemd und schwarzer Nietenhose. Remigijus hieß er, Salomė ja, die Laborantin, nannte ihn zärtlicher: Remi. Und er sie Salė. Remi und Salė. Remi, damit niemandem ungute Gedanken kamen, hielt Salė die ganze Zeit umschlungen, auch ihre Hand hielt er in der seinen. Die kriegt niemand, sollte das wohl heißen. Doch als ein nicht mehr ganz nüchterner Trainer der Kanumannschaft sich höflich verbeugte und um ein Tänzchen bat, nickte Remi wohlwollend und bugsierte Salė sogar sanft in die Arme des kleinwüchsigen Glatzkopfs. Lucija und ich saßen da und schwiegen. Niemals hatten wir zusammen getanzt, vielleicht nur am Lagerfeuer, mit den Kindern. Immer im Kreis herum. Auch Bladžius sah nicht aus wie ein leidenschaftlicher Tänzer. Er saß auf der Bank, gegen die Umzäunung des Platzes gelehnt, mit der Miene eines gelangweilten, sogar ein wenig leidenden Menschen. Mit leerem Blick verfolgte er das jugendliche Treiben auf der offenen Tanzfläche. Klar, was interessierte ihn dieses Getümmel. Der Mann hatte schon ganz Litauen abgefahren mit seinem Röntgenbus , bis ins letzte Dorf war er gelangt. Ein wenig vergleichbar mit den Mechanikern, die für das mobile Kino zuständig sind, nur schien deren Wirkungskreis stärker eingeengt, auf den Landkreis beschränkt. Aus irgendeinem Grund beobachtete ich Bladžius, er erschien mir interessant. Vielleicht spürte er meinen Blick? Jetzt drehte er den Kopf in unsere Richtung und lächelte ein wenig gequält. Schließlich erhob er sich entschlossen, näherte sich uns und forderte Lucija zum Tanz auf. Die schnellte in die Höhe, als habe sie nur darauf gewartet, und wieder durchfuhr es mich: Zynikerin! Es war recht komisch, die beiden zu betrachten: Während ein wilder Rhythmus die Luft erzittern ließ, standen Lucija und Bladžius am Rande des Tanzplatzes beinahe auf der Stelle, hielten einander umschlungen und wiegten nur leicht die Hüften. Aber niemand beachtete es. Der Röntgenologe Bladžius, hochgekämmtes blondes Haar, einen Kopf größer als seine Tanzpartnerin und der Rote Wacholder, Lucija Noriūtė, Lehrerin der russischen Sprache, meine Sommerliebe. Und mich, auch weil ich wütend war, zog es in die Dunkelheit, zur Seite des Sees hin, um gezwungenermaßen weiter über all diese mobilen Menschen nachzudenken, diese Röntgenologen, Laboranten und, aus irgendeinem Grund, Kinomechaniker. Vielleicht deshalb, weil man aus mir einst mit Gewalt einen Kinomechaniker machen wollte. Es gab doch zu Chruščëvs Zeiten Klassen mit Produktionsunterricht, wo man neben dem Abitur noch das Diplom eines Telefonisten oder einer
Weitere Kostenlose Bücher