Mobile Röntgenstationen - Roman
Antanas Bladžius verrückt war nach Lucija. Ein Blinder sah, dass die Initiative von ihr ausging. Sie packte dem Röntgenologen die schönsten Happen auf den Teller, Geflügel und Salate, ermutigte ihn zu trinken, zupfte ihn am Ärmel, weil sie tanzen wollte. Bladžius aß und trank mäßig, tanzte eher unwillig. Es war ihm anzumerken, dass er sich nur aus Langeweile oder aus Anstand bereit erklärt hatte, an dieser banalen Fiesta teilzunehmen. Sicher hätte er es sich lieber im Bus auf seiner Liege bequem gemacht und unter der Nachtlampe einen Dostoevskij-Roman gelesen.
Grenzenlos frustriert hatte ich bereits begonnen, mich zu betrinken, aber – sieh an – Rūta bat mich zum Tanz, eine Praktikantin von kräftiger Statur und mit rundem Gesicht. Sie schwieg, schmiegte sich nur fest an mich und atmete mir, wenn sie sich herunterbeugte, ins Ohr, sie war wohl einen halben Meter größer als ich.
Als sich Bladžius entschuldigend erhob – Morgen ist ein schwerer Tag, meine Herren – und Lucija ihn, ungebeten, begleitete, gelangten auch Rūta und ich nach draußen. Wir setzten uns ans Seeufer. Küssten uns aus Langeweile. Aber als ich versuchte, sie ins Gras zu legen, stieß sie mich entschlossen von sich. Immer schön langsam. Du bist hier noch nicht Lagerleiter!
So sah es also aus. Ich war beinahe erheitert. Schwieg und rauchte. Dann ließ ich Rūta allein, bog in den Park ab, irrte zwischen den dunklen Linden herum und überlegte, ob ich nicht den Bus anzünden sollte, zusammen mit Antanas und Lucija, die es da drin miteinander trieben. Beide würden nackt herausspringen, die Scham bedeckend, vielleicht sogar ein wenig in Flammen, schön wäre es! Schön für wen? Was fasele ich da. Besser schon sprengen. Sämtliche Körperteile würden durch die Luft fliegen, mitsamt den dazugehörigen Lungen. Wie in diesem albernen Lied. Was für einem? Na diesem:
Tanzen Männer, Katholiken
und drei Dinge, die sie zwicken:
Lunge, Leber je für sich
Und was noch, das sag ich nicht!
Dummes, bierdummes Gewäsch. Nichts weiter. Nur traurig war es. Traurig, wie es nur in der Jugend sein kann, später schon nicht mehr. Später gab es da nur Wut und Ärger. Selbst mit einer Granate in der Hand hätte ich es nicht gewagt. Verdammter Feigling. Und gut so: Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass keine Lucija im Bus gewesen war.
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KURZE INFORMATION: Tuberkulose (Schwindsucht) – schleichende Infektionskrankheit. Es erkranken Poeten, Intelligenzler und andere Kunstschaffende. Mitunter betroffen auch Handwerker und Proletariat. Anstecken kann man sich überall: in Fabriken, auf dem Markt, auf Straßen und Schienen, nach Überschwemmungen usw. Ist die Krankheit ausgebrochen, bilden sich allmählich Tuberkel. Schuld ist auch hier schlechte Ernährung, und die ist nicht selten der Dummheit und dem Ungehorsam der jungen Leute geschuldet. Zum Beispiel: trat nicht ins Priesterseminar ein, verlor die Unterstützung der Eltern, gestorben an der Schwindsucht … Tuberkulose verbreitet sich durch Niesen, Husten, Auswurf (siehe A. Vienuolis-Žukauskas »Krankenstation Intelligenz « , E. M. Remarque »Drei Kameraden« etc.). Die Schwindsucht war bereits im Altertum bestens bekannt, Hippokrates schrieb über sie, ebenso berühmte Poeten der Antike. Symptome derselben wurden an Mumien ägyptischer Pharaonen entdeckt (3.–1. Jahrhundert vor Christus). Die Litauer lernten sie ebenfalls früh kennen. Erstes prominentes Opfer war Prinz Kazimir, später kanonisiert und für heilig erklärt. Von 1926 bis 1940 wurde in Kaunas das Journal »Kampf der Tuberkulose« herausgegeben. 1938 starben 2 110 Personen an dieser heimtückischen Krankheit. 1945 wurde ein Tuberkuloseinstitut eingerichtet. Neben den in waldreichen Gegenden errichteten Lungensanatorien pflegte man zu Sowjetzeiten die an Tbc Verstorbenen auch zu beerdigen (so in Alytus, Valkininkai, vielleicht in Romainiai). In der Litauischen Sowjetrepublik wurden jährlich 1–1,2 Millionen Einwohner prophylaktisch untersucht. Ständig waren mobile Röntgenstationen im Einsatz, man sorgte sich um die nötige medizinische Ausrüstung sowie um qualifiziertes Personal.
Zu erwähnen ist weiterhin, dass mehr als 55 Säugetier- und etwa 25 Vogelarten an Tbc erkranken können. Seltener Lurche und Kriechtiere. Bullen, Kühe, Schweine sind gefährdet. Anfällig unter den Pelztieren ist der Nerz, die Nutria, ferner der Rot- und der Polarfuchs. Sogar Hühner erkranken! (»Dieses Huhn ist nicht viel
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