Mobile Röntgenstationen - Roman
wert, von der Schwindsucht ausgezehrt, legt es keine Eier mehr, blickt verzweifelt nur umher…«) Selbst um Elefanten, Flusspferde und Affen macht die Tuberkulose keinen Bogen. Besonders in schlecht eingerichteten Zoologischen Gärten (Kaunas, Moskau, Grodno) greift sie schnell um sich. Kühe, die sich angesteckt haben, husten, magern ab, ihre Lymphknoten vergrößern sich. Hühner beginnen zu lahmen. Und Füchse erbrechen, ihr Verdauungssystem ist gestört. (Schon mal einen Fuchs gesehen, der kotzt? Ein lahmendes Huhn? Ein hustendes Pferd?) Kranke Tiere werden getötet.
LITERATUR:
Erelis, V.: Die Bedeutung der Sowjetmacht beim Kampf gegen die Schwindsucht. – V., 1945;
Erelis V.: Effektive Tuberkulose – Prophylaxe in Sowjetlitauen. V., 1946;
Venslovaitis P.: Tod unter dem Faulbaum. Roman – »Pieta«, 1997;
Kalender für Schwindsüchtige – Kaunas, 1938 (»Kampf der Tuberkulose« kostenlose Beilage).
Mich reizte stets kennen zu lernen, was mobil und transportabel ist, alles, versteht sich, gelangte nicht in meinen Gesichtskreis. Wie sehr möchte man da die unauslöschlichen Eindrücke mit anderen teilen, aus den Zeiten, als ich mich, nach erledigten Hausaufgaben und Abendbrot, ausstreckte, die Hände hinterm Kopf verschränkte und ganz ernsthaft nachdachte: Schafft es Chruščëv, den Kommunismus aufzubauen, oder schafft er es nicht. Mir war sehr daran gelegen, dass er es schaffte. Für den Beginn des Kommunismus war das Jahr 1980 angesetzt. Da bist du dreiundvierzig, dachte ich mir, und kannst noch dreißig Jahre oder länger ganz prima im Kommunismus leben. Ohne jede Ironie erwog ich diese Möglichkeit. Ich war damals vierzehn. Ich trank nicht, rauchte nicht. Jeden Morgen trieb ich Gymnastik und härtete mich mit kaltem Wasser ab. Auf dem Weg zur Schule passierte ich zweimal eine Wandtafel, auf der in Großbuchstaben der Moralische Kodex der Erbauer des Kommunismus prangte. Der Erste, der sich über meine Überlegungen lustig machte, war mein aus Sibirien zurückgekehrter Onkel. Nein, er sagte nichts, er kicherte nur in sich hinein, dass es mir kalt den Rücken herunterlief. Ich war beleidigt und begann, ihm aus dem Weg zu gehen, obwohl er ein gutmütiger Mensch war, auch wenn er, na wenn schon, früher Polizist gewesen war. Überhaupt, von heute her die Dinge zu betrachten ist billig; wer Lust hat, amüsiert sich über diesen Chruščëv-Plan oder nicht mal das, dieses Thema langweilt nur noch. An den Abenden saßen wir Halbwüchsigen an einem Hang unten am Fluss und unterhielten uns. Die Älteren ließen schon Zigaretten herumgehen. Wie gesagt, ich rauchte nicht. Und da gab es einen, Stasys hieß er, sein Vater war Offizier bei Smetona gewesen und während des Krieges irgendwohin verschwunden, und der hatte uns einiges mitzuteilen. Wisst ihr, Männer, so begann er, was Churchill über Chruščëvs Plan gesagt hat? Die ganze Truppe horchte auf. Nun, was denn? Also Churchill, Winston übrigens, hat Folgendes gesagt: Die ganze Zeit habe ich gedacht, an Altersschwäche zu sterben, aber jetzt gibt es auch die Möglichkeit sich totzulachen. Alle johlten vor Begeisterung, aber mir schlug das, was ich da gerade gehört hatte, dermaßen auf den Magen, dass mir auf der Stelle schlecht wurde, fast hätte ich hinter die Büsche gemusst. Um es ganz offen zu sagen: Zu dieser Zeit geriet mein Glaube an den schnellen Sieg des Kommunismus zum ersten Mal ins Wanken. Aber ganz aufgehört zu glauben habe ich nicht. In jenem Sommer wurde das Eis um fünf Kopeken billiger, und Brot in der Schulkantine gab’s umsonst. Nimm und iss, so viel du willst. Die Kinder aus der Berufsschule stopften sich die Taschen voll damit und fütterten hinter einer Absperrung im Park einen kranken Hirsch. Doktor Ralys sagte uns, der Hirsch sei an der Schwindsucht erkrankt, was keiner glauben wollte. Ein Hirsch – die Schwindsucht? Quatsch. Nächstes Jahr, so rechnete ich mir aus, wird die Marmelade billiger, Bus fahren und Kino werden umsonst sein. Als das nicht eintrat, begann ich noch stärker zu zweifeln, umso mehr, als auch von Stasys immer andere Neuigkeiten kamen. Trotzdem glaubte ich immer noch, einfach, weil ich glauben wollte. Diesem Plan zufolge sollte meine Stadt in nicht allzu ferner Zukunft einen Hafen bekommen mit Zugang zu allen fünf Weltmeeren und ein Teil der Menschheit auf dem Mond leben. Das erschien mir durchaus realistisch. Zogen nicht die Sputniks bereits ihre Bahn?
Es war die verdammte Kubakrise, die alles kaputt
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