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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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gemacht hat. Wir sahen uns gerade ein Laienspielkonzert in der Stadthalle an, als die russischen Schiffe schon mit Volldampf unterwegs waren in Richtung Karibik. Mein Vater kniff die Lippen zusammen, dann sagte er zu meiner Mutter: Teufel noch mal, wenn es nicht diese Nacht schon zum großen Krach kommt, dann morgen. Wie bekannt ist, sind wir noch mal davongekommen, aber alle hatten darunter zu leiden. Der Aufbau des Kommunismus wurde hinausgeschoben, dann ganz vergessen. Oder die Sache hing allen schon zum Hals raus, und das war’s dann.
    Dennoch, ein gewisser Anfang war gemacht. Das hängt ein wenig mit den beweglichen Dingen zusammen, obwohl es die schon vor der Ankündigung, den Kommunismus aufzubauen, gegeben hatte. Nur ich war so dumm, es damals nicht zu wissen. Von einem tragbaren Altar , um ein Beispiel zu nennen, erfuhr ich nur dank meiner Lektüre Hašeks. Eine seiner Romanfiguren, der Militärseelsorger Katz, nutzte diese sakrale Einrichtung. Und erst viele Jahre später fand ich heraus, dass mobile Altäre, vom Papst genehmigt, schon im Mittelalter einigen braven Rittern, Fürsten und Bischöfen zugesprochen worden waren.
    Abgesehen von der Neulandgewinnung gelangen Chruščëv eine Menge kleiner Revolutionen (so erlaubte er Mieželaitis [14] , sein Poem »Der Mensch« von neuem zu schaffen, und Baltakis [15] , seine »Teufelsbrücke« zu schreiben). Sie alle beackerten den Boden für diejenigen, die dann den Kommunismus säen sollten und reichlich zu ernten gedachten. Und wären nicht die Militärs gewesen, die Apparatschiks, der Neid und die Habgier von Nikita Sergeevič’ Parteigenossen, es wären nicht nur die Schwindsucht und die Krätze besiegt worden. Vielleicht hätten wir auch etwas dem Kommunismus Ähnliches zustande gebracht. Als ich noch in der Sowjetarmee diente, hat mir einmal ein weißrussischer Kolchosbauer seine Formel für den Kommunismus verraten: čaj, sachar, belyi chleb! Tee, Zucker und Weißbrot also, das wäre nun wirklich erreichbar gewesen. Und außerdem: Gagarin stieg auf in den Kosmos, Neubaugebiete entstanden, ja ganze Satellitenstädte und Wasserkraftwerke wurden errichtet. Einen ungeahnten Aufschwung erreichte die Chemische Industrie. Es gab noch andere Dinge, die dann allmählich in Vergessenheit gerieten. So etwa mobiles Kino. Dessen Mechanik schien unverwüstlich, bewährte sich auf hoher See, in den Neulandgebieten, auch in unserem heimatlichen Dorf. Jetzt, wo selbst das stationäre Kino verschwindet, erscheint meiner Generation jenes, das auf Rädern daherkam, als etwas überaus Romantisches, Liebes, Sentimentales. Haben sich doch die großen Lichtspieltheater in Salons verwandelt, in Supermärkte und Saunen. Aber wozu sich grämen, inzwischen ist fast alles verschwunden, was beweglich und transportabel war. Erinnert ihr euch noch an diese Wanderausstellungen? Auch eine Erscheinung jener fantastischen Epoche, die schnell Furore machte. Da trug irgendein Sonntagsmaler fünfzig Gemälde zusammen, dazu noch einige robuste Statuen, packte alles auf einen Lastwagen – und vorwärts! Ganz Litauen bekam sie zu sehen, in Zechen, Klubhäusern, Bibliotheken, Krankenhäusern, in den Traditionszimmern von Schulen und Betrieben wurden sie gezeigt, überall dort, wo es eine Wand gab und das Dach nicht tropfte. Und der Mensch verstand, was da abgebildet war! Ein Weizenfeld war ein Weizenfeld und kein gelber – gut, wenn noch gelber! – hingeschmierter Klecks. Eine Hand war eine Hand, ein Hammer ein Hammer. So manche Schneiderin, so mancher Rohrleger oder Schweißer, wenn sie in der Werkskantine aufsahen von ihrer Kohlsuppe, erblickten zum ersten Mal in ihrem gar nicht kurzen Leben ein richtiges auf Leinwand gemaltes Bild, eine Grafik oder sogar eine Skulptur, die so gar keine Ähnlichkeit hatte mit dem, was man bisher auf Friedhöfen gesehen hatte.
    Zu spotten gibt es da – wie gesagt – nichts, wenn einem auch zuweilen danach zumute ist. Zwar hatte uns Chruščëv mit einem schrecklichen Zaun vom Rest der Welt getrennt, doch ihm haben wir es zu danken, dass wir alles Mobile und Tragbare schätzen lernten. Transportable Gaskocher, mobile Zahnarztpraxen, Tische und Stühle, Büfetts, kleine Fertigteilhäuser, diese Dinge wurden so sehr Teil des Alltags, dass man von einer fundamentalen Erscheinung sprechen kann. Der Mensch war ebenfalls beweglich wie ein Bauer auf dem Schachbrett, aber das nur nebenbei. Sorgen bereiteten der Partei allenfalls mobile Funkstationen,

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