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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Krankenhaus gekommen war, fand ich bereits am zweiten Tag in einem Abschnitt des Korridors, der saniert werden sollte, ein abgelegenes und sicheres Zimmer für meine Übungen mit der Pamir , dem Wasser und den Kniebeugen. Niemand hätte es geschafft, mich hier zu erwischen und zu überführen, das Korridorende bedeckte ein Brettersteg, wer ihn betrat, war schon von weitem zu hören, wie sehr er sich auch Mühe geben mochte. Und ein Patient, der an einem abgelegenen Ort rauchte, konnte bei niemandem Verdacht erregen, nicht mal beim Militärkommissar. Am vierten oder fünften Tag vernahm ich Schritte – mein Blutdruck hielt sich tatsächlich auf entsprechendem Niveau, der Doktor staunte nur. So jung und Werte wie ein Alter, wie ist das möglich? – Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe. – Also: Ich vernahm Schritte. Gerade hatte ich zehn Kniebeugen gezählt. Die Schritte näherten sich rasch. Ich musste die Prozedur unterbrechen. Der Journalist hatte ausdrücklich hervorgehoben – fünfzehn Mal! Ich stieß einen kräftigen Fluch aus, dann setzte ich mich aufs Fensterbrett. Wer wagte es, meine heiligsten Angelegenheiten zu stören? War es ein Bauarbeiter, dann konnte man nichts tun. Aber als ich dann die lange und knochige Hrasilda Giedriūtė im Türrahmen stehen sah, eine Tür gab es noch nicht, sprang ich vom Fensterbrett und rieb mir verwundert die Augen. Vielleicht halluzinierte ich bereits als Folge dieser Übungen? Hrasilda? Hier, im Dritten Allgemeinen? Wie das? Und wenn schon Krankenhaus, warum dann nicht am Rande von Antakalnis, wo sich das Lazarett für die Sowjetgrößen befand und Nomenklaturkader zu sterben pflegten, freilich nicht im Hof, wie dieser König in Merkinė, sondern in einem Einzelzimmer, umgeben von Angehörigen und Parteigenossen. Warum war sie nicht dort, wo es auf dem Zimmer Telefon gab, Fernseher, Parkettfußboden, wo sie einen, wenn es nicht kalt war, hinaustrugen auf den Balkon, wo vor der Reise ins Nichts, weil ja auch nichts war, irgendein Untergrundkämpfer oder Stribas [36] jenes fast schon vollendete, nur noch nicht eingerichtete Bauwerk mit Namen Kommunismus erblicken konnte. Die Funktionärin Hrasilda hier, an diesem Ort, anzutreffen, das war schon ein starkes Stück. Nachdem ich die ganze hier zu Papier gebrachte Tirade an sie losgeworden war, wunderte ich mich nochmals über ihre grenzenlose Bescheidenheit.
    Was machen sie hier mit dir, Hrasė, in dieser Entsorgungsanstalt des Proletariats?
    Sie lächelte nur schwach. Offenbar ging es ihr wirklich nicht gut. Blass, noch dünner als sonst, wenn auch mit einem von zu Hause mitgebrachten seidenen Pyjama mit zartroten und blauen Streifen. Sie hatte Asthma, eine schreckliche, quälende, auszehrende Krankheit, eine wirkliche Halbschwester der Schwindsucht. Sicher war diese Krankheit schuld, dass Hrasilda keine Brust hatte, an dieser Stelle erinnerte der Pyjama an die Tiefebene des Kaspischen Meeres. Sie rang nach Luft, keuchte und röchelte. Stets trug sie einen Inhalator mit sich herum, nur musste man den mäßig nutzen, andernfalls schwächte sich der Effekt ständig ab. Aber was tat man nicht alles, wenn man zu ersticken drohte, Bewusstsein und Verstand sich verdunkelten und alles um einen herum aufblitzte wie in einem Kinosaal, wo man plötzlich grelles Licht eingeschaltet hatte. So etwa, ohne eine Spur von Hochmut, schilderte sie mir ihre Krankheit, die große Funktionärin und Anschwärzerin, na gut, Informantin. Die Asthmatikerin Hrasilda Giedriūtė aus Žemaičių² Kalvarija, das sich jetzt Varduva nannte. Ich rauchte bereits eine normale Zigarette. Sie stand halb abgewandt neben mir und redete, ein schiefes Lächeln auf den Lippen, über alles und jedes: Prüfungen, Bücher, das schlechte Wetter, ein neues Journal. Sie schlug vor, deutsch zu sprechen, aber ich wollte nicht. Ich hatte da Schwierigkeiten. Sonst fiel es mir nicht schwer, mich mit Deutschen zu unterhalten, sogar mit Westdeutschen, aber den Unsrigen ging ich aus dem Weg. Allzu sehr hingen sie an den Artikeln, an reduzierten Vokalen und der Artikulation von Knacklauten. Es haperte da bei den Präpositionen, ebenso bei der Pluralbildung einiger Substantive. Wurde ich auf dem Korridor der Alma Mater deutsch angesprochen, etwa von Sirena Muta-vičiūtė, dem Grammatiker Bernardas G. Malonė oder dem Arti-kulationsspezialisten Antanas Požemeckas – was allein war sein rGaumen-Uvular wert! –, dann kaufte ich mich meist mit einem geflügelten Wort frei, etwa:

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