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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Die frische, beinahe frostige Luft berauschte mich. Einen kleinen Beutel mit einigen Büchern über der Schulter und innen in der Jackentasche ein Kuvert mit zehn Hunderten als Auslösung. Schmutziges Geld einer Geisel. Soundso viel für Major Gračiovas, soundso viel für noch jemanden. Das ist alles. So viel Kohle! Einen Hunderter werd ich gleich wechseln. Ich musste irgendwo einkehren. Die Zigarettenverkäuferin, klar, hatte nicht so viel Wechselgeld. Nur keine Eile, versuchte ich mich zu zügeln, immer schön ruhig. Und pfeif auf die Armee, auf alle Hrasildas, auf die Künste. Wie es kommt, so kommt’s. Sollen sie mir den Buckel runterrutschen. Die Nacht werd ich bei Brūklys verbringen. Und sonst – wer wird dich jetzt suchen? Die Einberufungszeit geht ihrem Ende entgegen. Sorgen haben sie genug, auch ohne dich. Nur keine Hektik , sagte ich zu mir, als ich das Bahnhofsrestaurant betrat. Festina lente! [41]
    Der Saal war geräumig, mit hoher, schadhafter Decke, auf dem Podest ein Estradenorchester. Es war Freitagabend. Frauen, Männer, Jugendliche. Viele Offiziere, vom Leutnant bis zum Major. Kein Stepaškin, kein Gračiovas, die hier waren auf der Durchfahrt. Die hiesigen Etappenhengste speisten nicht im Bahnhofsrestaurant, für sie wurde woanders gedeckt. Ich setzte mich neben ein junges Paar und einen Piloten der Luftwaffe, Hauptmann, erkennbar an den blauen Schulterstücken und dem Propeller auf den Kragenspiegeln. Vielleicht auch kein Pilot. Jetzt wollte ich erst einmal tafeln! Die Milchsuppe aus dem Krankenhaus rumorte noch immer in den Eingeweiden, ich wollte Fleisch. Bestellte dann eine Karaffe mit Branntwein, Bier, Salat und ein Schnitzel. Den Kaffee, den ich auch noch geordert hatte, nahm ich zurück, als ich den spöttischen Blick des Hauptmanns bemerkte. Statt des Kaffees noch ein Bier. Das Pärchen war in ein intimes Gespräch versunken, erhob sich dann, um zu tanzen, kehrte zurück und flüsterte wieder miteinander. Der Hauptmann sprach mich als Erster an, klar, er langweilte sich. Das Gespräch schleppte sich mühsam dahin. Endlich kam das Schnitzel, mit Bratkartoffeln. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, heißhungrig machte ich mich darüber her. Der Hauptmann goss mir ein Gläschen ein, dann bediente ich ihn aus meiner Karaffe. Er war mindestens zehn Jahre älter als ich, aber dennoch jung. Piloten durchlaufen schnell die militärische Stufenleiter, für sie gelten andere Gesetze als für die im Kommissariat. Ein freundlicher Mensch, was machte es, dass er beim Militär war. Interessierte sich für Musik und für Mädchen, und ob ich hier vielleicht welche kennen würde. Nein, ich schüttelte den Kopf, woher? Über den Dienst, versteht sich, kein Wort. Baltun – nachodka dlja špiona! [42] Das wusste er. Vor allem hier, in den Pribaltiki . [43] Er machte auf seine Art einen intelligenten Eindruck, sagte, er sei in Piter [44] geboren, sein Wort. Erst etwas später, aufgewärmt von den Getränken, bemerkte ich, dass das auf dem Kragenspiegel gar kein Propeller war, auch keine Flugzeug-Silhouette, sondern ein geflügelter Fallschirm! Ein Fallschirmjäger also. Das bestätigte er, als er meinen Blick spürte: Svoj! Vozdušnodesantnyje vojska! [45] Ein stolzer Adler. Und da war noch eine Medaille, ich Trottel hatte sie gar nicht bemerkt: ein goldfarbener Schirm mit weißer Kuppel auf blauem Hintergrund. Darunter eine Metallspange mit einer eingravierten Zahl: 350. Ich begriff: dreihundertfünfzig Sprünge ins Ungewisse. Und für jeden gab’s ordentlich Geld. Tausend Rubel waren für den bestimmt ein Nichts. Noch ein paar Jährchen, dann gravierten sie ihm vierhundert oder gar fünfhundert Sprünge ein, und statt der vier kleinen Sterne würde es einen großen geben: Major. Ja? So ähnlich, der gutherzige Hauptmann schmunzelte und zupfte sich an seinen schon grauen Koteletten. Praga, jasno? [46] Natürlich, dafür hatte es diese Auszeichnung gegeben. Während ich mich im Lager mit Lucija amüsiert hatte, war er wie ein Todesengel hinabgeschwebt in die tschechoslowakische Hauptstadt. Hatte dabei sein Leben riskiert, wo er doch nicht wissen konnte, ob die Tschechen ihn vielleicht aufspießen und überm Feuer braten würden. So wie man eine Wildente brät. Er riskierte sein Leben, und ich tanzte unter den Linden. Er patrouillierte durch die goldene Stadt, immer auf der Hut, die kurzläufige MP im Anschlag. Ich ruderte mit Elli, fing Krebse in jenem See, dessen anderes Ende schon in Polen lag, und

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