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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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sang mit anderen, schon benebelt, das Zigeunerlied. Wie unschön. Aber nun, auch nicht mehr ganz nüchtern, stellte ich ihm eine einfache Kontrollfrage: Sie können einem Leid tun, die Tschechen, nicht wahr? Was konnten sie auch allein … Jesusmaria, wie er sich veränderte. Er wurde plötzlich blass, kippte sein ganzes Glas Schnaps herunter und zog eine Miene, als würde er gleich zu heulen anfangen. Dann, ohne die Stimme zu heben, aber immer zischend wie eine wütende Gans, begann er der Reihe nach alle zu beschimpfen und zu verfluchen: die Tschechen, die westlichen Faschisten, dann waren auch die Litauer und die Esten dran. Ihr seid alle gleich! Moment, unterbrach ich seine Tirade, und die Letten? Warum hast du die Letten vergessen? Die sind auch nicht besser! Er errötete: Ich bin selbst Lette, aber in Leningrad geboren. Nein, die Letten sind doch anders. Auch da gibt es Abschaum, wo nicht, aber die sind anders. Und wären nicht die roten lettischen Schützen gewesen, das weißt du sicher, oder? Als wäre es möglich gewesen, das nicht zu wissen.
    Das Pärchen an unserem Tisch bezahlte und machte sich still davon, vielleicht hinaus auf den Bahnsteig, vielleicht auch woandershin. Uldis Jansonas, so hieß er, setzte inzwischen seine Gardinenpredigt fort. Wenn er wolle, so ließ er mich wissen, könne er mir einige Unannehmlichkeiten bereiten. Aber dann winkte er ab. Ihr seid alle so, einer wie der andere. Wir tranken weiter, schweigend. Streit gab es keinen mehr. Ein bisschen fühlte ich mich den Tschechen gegenüber schuldig, sogar gegenüber den Letten, aber nicht sehr. Jansonas winkte dem Kellner und bezahlte auch meine Rechnung, der Hunderter blieb in der Tasche! Wir verabschiedeten uns, Uldis Jansonas begab sich zurück an die Wiege der Revolution, irgendwo am Stadtrand von Leningrad war seine Einheit stationiert. Und ich schlich mich in die nahe gelegene Lydos-Straße. Noch ist es nicht zu spät, sagte ich mir, die tausend Rubel noch beisammen! Kehr ins Krankenhaus zurück, warte auf Gračiovas und … Aber schon hatte ich die feige Stimme der Anpassung in mir niedergekämpft. Schweig, du Hund! Es reicht. Im Café neben der Synagoge verkostete ich noch einmal hundert Gramm, kaufte eine Flasche Kognak und Zigaretten, wechselte den ersten von zehn mit dem Leninporträt verzierten Hundertern. Und schon war ich auf dem Weg zu Herrn Tischlermeister Brūklys, den ich in Katerstimmung vorfand. Ich stellte den Kognak auf den Tisch, aber nachdem wir uns beraten hatten, zog er sich seine Wattejacke über und ging selbst zum Getränkepunkt neben der Gaststätte Nemunas – Weißen! Weißen und Bier, dieses Gesöff danach! Gut, ich war mit allem einverstanden. Wie’s beliebt, Herr Brūklys. Und reichte ihm einen neuen Hunderter. Er bekam große Augen, schwieg aber, es ziemte sich nicht, Verwunderung zu zeigen.
    Das ist ganz was anderes, verkündete er feierlich. In den Getränkepunkt muss man da nicht gehen. Gut, warte hier, ich bin gleich wieder da.
    Nach einer halben Stunde kam er zurück, aufgewärmt, mit Weißem , dazu einer Batterie Bierflaschen. Mit Schinken und Weißbrotstangen. Mit Erbsen und Tomaten. Ein wahres Festessen seinerzeit. Weil ich ihm noch dies und jenes schuldig war, verlangte ich kein Wechselgeld zurück. Zwei Lenins waren schon weg, offenbar war es ein Leichtes, sie loszuwerden.
    Alles gut, alles sehr gut. Wunderbar. Nur sollte ich nicht weiter mit Brūklys bechern, sondern mich gleich morgen aus dem Staub machen. Es war klar, wohin. Nach Suvalkija, zu Danielė. Auch wenn mich hier niemand suchte, trotzdem. Nach dem dritten Glas wurde mein Hausherr überaus gesprächig, sogar sentimental. Vielleicht habe er mir doch zu viel Miete aufgebrummt, ließ er mich wissen. Wir tranken weiter, unterhielten uns, rauchten, ich schon Filterzigaretten, keine Pamir ! Und dann hämmerte plötzlich jemand ans Küchenfenster – heftig, ungeduldig, schrecklich! Alles Wohlsein war im Nu verflogen, das Herz rutschte mir in die Hose, was zum Teufel war hier los? Wieder wildes Gehämmer. Wer dort? – erkundigte sich Brūklys mit versoffener Stimme. Lassen Sie mich rein, schnell! Ich erstarrte abermals. Hrasilda! Ihre schrille, befehlsgewohnte Stimme war unverwechselbar. Kaum war sie im Haus, sprang sie schon auf mich zu.
    Zieh dich an, schnell, wir verschwinden! Gračiovas hat alles auf die Beine gebracht. Esel, der du bist.
    Als wir mit einem Taxi irgendwohin in die Vorstadt unterwegs waren – schwarze

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