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Titel: Mobile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Richter
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letzte Farbklecks verschwunden sein wird.«
    »Aber das wird nicht geschehen«, sagte Carola mit dünner Stimme.
    Michael schüttelte den Kopf. »Oh nein, das wird nicht geschehen.«
    »Also gut«, sagte Joachim , klatschte in die Hände und stand auf. »Machen wir uns auf den Weg.«
     
    *
     
    Einige Minuten vor der Landung rüttelte die Stewardess sanft an Joachims Oberarm, um ihn aus seinem dünnen Schlaf zu holen, damit er die Rückenlehne aufrecht stellte. Joachim war augenblicklich hellwach und wusste, wo er sich befand. Er saß in einem nur zur Hälfte besetzten Flugzeug auf dem Weg nach London Stansted. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er bereits vor dem Abflug eine Stunde zurückgestellt hatte. Es war kurz nach halb sechs abends. Neben ihm saß Michael und sah ihn aus den Augenwinkeln an. Er hatte einen DIN-A6-Ringbuch auf dem Schoß und hielt einen Kugelschreiber in der einen, einen durchsichtigen Plastikbecher in der anderen Hand. Der Becherinhalt war zu hell für reine Cola und Joachim fragte sich kurz, ob Michael Rum oder Whiskey hatte dazumischen lassen.
    »Ausgeschlafen?«, fragte Michael.
    Joachim ließ den Kopf kreisen. »Oh Mann, mein Nacken ... .«
    »Ich hatte noch nie verstanden, wie man im Flugzeug pennen kann. Aber wenn es dir gutgetan hat, ist ja alles prima.« Er gab Joachim das Ringbuch. »Hier, ich habe in der Zwischenzeit über den Schularbeiten gesessen.«
    »Was ist das?« Joachim betrachtete ratlos Michaels Aufzeichnungen.
    »Eine Liste mit allen männlichen englischen Vornamen, die mit G beginnen. Natürlich nur, so weit ich sie kenne. Die modischen habe ich allerdings wieder gestrichen, denn immerhin ist unser Freund ja bereits schlappe achtzig Jahre alt, also wird er kaum einen ausgefallenen und angesagten Vornamen haben. Am Ende sind zwölf Namen übrig geblieben, vielleicht ist es ja einer davon.«
    Joachim las die Namen. »Nicht schlecht, auf all die wäre ich vermutlich nicht gekommen.« »Ich muss immer wieder an das Gespräch mit der alten Reichel zurückdenken, Jo. Warum hat die Alte nicht voll und ganz ausgepackt? Sie muss vor irgendetwas mächtig Schiss haben. Anderseits frage ich mich, wovor jemand, der altersbedingt bereits so gut wie im Grab liegt und angeblich dem eigenem Ehemann getötet hat, überhaupt noch Angst haben sollte. Etwas oder jemand muss einen so starken Druck auf sie ausüben, dass sie sich trotz ihres hohen Alters so sehr fürchtet, dass sie nicht alles erzählt.«
    »Vielleicht hat sie keine Angst um sich, sondern um andere. Was, wenn nicht sie die Konsequenzen zu befürchten hat, sondern andere sie zu spüren bekommen.«
    »Genau das vermute ich auch. Nach dem Motto: Wenn du nicht die Schnauze hältst, werden diejenige und derjenige leiden - also überlege es dir gut! « Michael leerte den Plastikbecher und drückte ihn in die Tasche der Rückseite des Vordersitzes. »Fassen wir zusammen: Der liebe Wilhelm Reichel arbeitete in einem Lebensmittelmarkt, einem Krämerladen, wie die Alte es nannte. Er war es gewohnt, täglich sein Mittagessen auf dem Küchentisch zu haben und anschließend eine Runde zu pennen. Klingt für mich nach einem Mann, der froh darüber ist, dass sein überschaubares Leben in gewohnten Bahnen verläuft. Doch plötzlich wirft Willy sein wunderbar strukturiertes Leben über Bord und beginnt etwas völlig Neues. Und das, weil irgendein angeblicher Freund und angeblicher Engländer und angeblicher Soldat in einer Person ihm einen Trödelladen hinstellt - was er scheinbar einfach mal so nebenbei macht. Die alte Reichel sagte uns, sie hätten sich in dem Kerl getäuscht. Sie gibt zu, von ihm fasziniert gewesen zu sein, weil er gut aussah und schmeichelhafte Dinge sagte. Und Willy, unser übersichtlicher Biedermann, fand es toll, dass eine interessante Figur wie dieser Kerl mit einem Mal sein vermeintlicher Freund wurde. Denn tatsächlich wollte der Kerl nichts weiter, als sich Willys Vertrauen und Zuneigung erschleichen. Sobald er beides hatte, begann er, Willys heimliche Wünsche und verborgene Träume auszuloten. Vermutlich war Willys größter heimlicher Wunsch kein flotter Dreier mit zwei scharfen Weibern, sondern ein Trödelgeschäft - und zwar genau ein solches Trödelgeschäft, das er dann schließlich hatte. Unser G-Freund hat Willy diesen Wunsch erfüllt, natürlich nicht, ohne dafür eine Gegenleistung einzufordern. Diese Gegenleistung, wie auch immer sie ausgesehen haben mag, liegt Oma Reichel so schwer auf der

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