Mobile
Frau noch mal zu vögeln. Verstößt Spieler M gegen diese Regel, muss er zuerst ins neutrale Feld und fährt nach der nächsten Würfelrunde zur Hö lle, wo er brennen soll.«
Joa chim trat einen Schritt zurück. Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch und sagte: »Also gut. Mit dir kann man ja eh nicht vernünftig reden. Aber damit du klar siehst: Wenn du irgendeine linke Nummer drehst, dann garantiere ich dir, dass du deines Lebens nicht mehr froh wirst.«
Michael lachte schallend. Es klang hell, fast kindlich, und einen Augenblick wusste Joachim nicht, ob Michaels Lachen echt oder gekünstelt war. Dann hielt Michael abrupt inne, tat so, als wische er sich die Tränen aus den Augen und sagte mit fester Stimme: »Wenn du dafür sorgen willst, dass ich meines Lebens nicht mehr froh werde, kommst du leider viele Jahre zu spät, mein lieber Spielkamerad. So, und nun haben wir genug gequatscht. Überlegen wir uns den nächsten Schritt.«
*
Carola stellte Joachim und Michael Becher mit Kaffee auf den Tisch. Michael verzog kurz das Gesicht, etwas Hochprozentiges wäre ihm lieber, doch das behielt er für sich.
»Das kann do ch nicht alles sein«, sagte Carola. »Mehr hat diese Frau Reichel nicht erzählt?«
Joachim schüttelte den Kopf.
»Wieso habt ihr nicht mehr aus ihr herausgequetscht? Ihr hättet sie durch die Mangel drehen müssen.«
»Sie wollte nicht mehr erzählen und sie hätte auch nicht mehr erzählt«, sagte Joachim.
»Sie hat scheinbar einige Geheimnisse«, ergänzte Michael.
»Angeblich hat sie ihren krebskranken Mann mit Morphium vergiftet. Zumindest behauptet sie das.«
»Eine reizende Person«, murmelte Carola. Dann: »Gut, auch ich war nicht untätig. Während ihr fort wart, habe ich im Netz gestöbert. Ich habe die ausgeschnittenen Zeitungsartikel in Michaels Fotoalbum mit Internet-Einträgen abgeglichen und nach neueren, ähnlichen Fällen gesucht, in denen Kinder plötzlich verschwanden und ihr Lieblingsspielzeug, das sie für gewöhnlich kaum aus der Hand legten, zurück blieb. Ich habe sogar was gefunden. Allerdings ist es nicht übermäßig viel, was vermutlich daran liegt, dass niemand drauf kam, dass zwischen dem Kind und dem Spielzeug irgendein Zusammenhang bestand. Möglicherweise ist die Zahl der Kinder, dessen Verschwinden irgendetwas mit ihrem Lieblingsspielzeug zu tun hat, höher als es den Anschein macht, weil das zurückgebliebene Spielzeug in den Artikeln und Berichten nicht erwähnt wurde. Was also wie das normale Verschwinden eines Kindes durch Davonlaufen oder Entführung aussieht, ist in dem ein oder anderen Fall ein ganz und gar nicht normales Verschwinden .«
»Tauchte eines der Kinder je wieder auf?«, fragte Joachim.
»Nicht, dass es danach aussieht. Zumindest habe ich dazu nichts gefunden.«
»Keines der Kinder tauchte jemals wieder auf und wird auch niemals wieder auftauchen«, sagte Mic hael. »Entweder sind alle diese Kinder tot oder sie stecken irgendwo fest, ohne jede Chance aufs Zurückkehren.«
»Die Kinder stecken irgendwo fest?«, fragte Carola verwundert.
»Irgendwo müssen sie ja sein. Entweder sind sie tot, dann gibt es ihre Leichen. Oder sie sind am Leben, dann sind sie irgendwo auf dieser Welt. Oder sie sind nicht mehr am Leben und auch nicht tot, dann sind sie irgendwo anders. Dort, wo man nicht so ohne weiteres hinkommt und erst recht nicht ohne weiteres wieder wegkommt.«
Carola und Joachim warfen sich einen schnellen Blick zu.
»Er redet bereits den ganzen Tag einen solchen Schwachsinn«, sagte Joachim herablassend.
»Ich vergrößere die Sichtweise, mein lieber Jo, aber das begreifst du nicht oder du bist unfähig, dein Sichtfenster zu erweitern. Ich werde dir jetzt die Frage stellen, die du dir immer wieder stellen solltest, so lange wir nicht genau wissen, worum es bei der ganzen Sache geht. Die Frage lautet: Wie ist es möglich, dass ein kleines Kind eine tiefgehende und offensichtlich nicht zu unterbrechende Verbindung zu einem Mobile hat, von dessen Figuren eine zunehmend ihre Farben verlieren? Wie ist das möglich, Jo, wie? Sag es mir!«
Joachim antwortete nicht. Sein trüber Blick ging ins Leere.
Michael sagte: »Du musst dir diese Frage immer wieder stellen, damit du irgendwann begreifst, dass wir es hier mit etwas zu tun haben, dass außerhalb des wissenschaftlich Erklärbaren liegt. Was sich zwischen eurem Sohn und dem Mobile abspielt, hat seinen Ursprung außerhalb unserer Alltagswelt. Im Grunde ist es ebenso simpel
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