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Mode ist ein glitzernder Goldfisch

Mode ist ein glitzernder Goldfisch

Titel: Mode ist ein glitzernder Goldfisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Smale
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circa 1962. Harriet, ich glaube, du bist Amerika. Du machst einen Haufen Lärm und hoffst, es geht vorbei. Und Nat, du bist wie Russland: kalt und eisig und schneebedeckt.« Dann unterbricht er sich. »Natürlich nicht wörtlich schneebedeckt«, erklärt er.»Obwohl es da draußen heute ganz schön winterlich ist, was? Gefallen euch meine neuen Handschuhe?«
    Damit hält er uns ein paar schwarze Strickhandschuhe unter die Nase, auf deren Handrücken baumwollweiße Skeletthände genäht sind.
    Verlegenes Schweigen macht sich breit, während Nat und ich mit großem Aufwand unsere Bücher aus unseren Schultaschen holen. Die ganze harte Arbeit von heute Morgen mit einem Schlag zunichtegemacht.
    Danke, Toby.
    Â»Wisst ihr«, fährt Toby nichts ahnend fort und dreht mit zärtlicher Miene seine Handschuhe um. »Die weißen Knochen musste ich selbst aufnähen. Ich hab mich von einem alten Halloween-Kostüm inspirieren lassen, aber es war nicht warm genug für Dezember.« Er hält mir die Handschuhe direkt unter die Nase. »Außerdem dachte ich, es wäre eine ausgezeichnete Möglichkeit, meine anatomischen Kenntnisse zu vertiefen.«
    Jetzt erst sehe ich, dass er auf jeden weißen Knochen mit einem grauen Stift den lateinischen Namen geschrieben hat: os lunatum, os triquetum, os pisiforme, os hamatum, os capitatum, phalanx distalis.
    Â»Sehr hübsch, Toby«, sage ich abwesend, denn Nat erhebt sich gerade von ihrem Stuhl.
    Â»Ich muss noch meine Bio-Hausaufgaben abgeben«, sagt sie in seltsamem Tonfall. »Wir sehen uns in der Pause, ja?«
    Fürs Protokoll: Nat und ich haben keine Stunden zusammen. Obwohl wir uns letztes Jahr alle Mühe gegeben haben, in dieselben Kurse zu kommen (Nat hat mehr gelernt, und ich habe mich angestrengt, ein paar Fehler in meine Arbeiten einzubauen), bin ich immer noch in den A-Kursen und Nat besucht in den meisten Fächern B-Kurse.
    Â»Okay«, sage ich. Sie sieht mich immer noch nicht an. »Wir sehen uns an der Kuh?«
    Â»Wir sehen uns an der Kuh« ist ein Ausdruck, den wir benutzen, seit wir fünf waren und es eine große, aus Pappe ausgeschnittene Kuh gab, an der wir jeden Morgen um zehn für unsere Milch anstehen mussten. Jetzt ist es das Kürzel dafür, dass wir in der Mensa aufeinander warten.
    Â»Klar«, meint sie, und dann schenkt sie mir ein kurzes Lächeln und schießt wie von der Tarantel gestochen aus der Klasse. So schnell habe ich sie noch nie irgendwo abhauen sehen.
    Der Rest des Tages lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
    - Jedesmal, wenn ich Nat sehe, lächelt sie und versteckt sich hinter ihren Haaren.
    - In der Vormittagspause muss sie nachsitzen.
    - In der Mittagspause muss sie nachsitzen.
    - In der Nachmittagspause muss sie zum dritten Mal nachsitzen.
    - Ich verbringe den ganzen Tag allein.
    Als Nat mir vor der letzten Stunde sagt, sie müsse nach der Schule länger bleiben, bin ich überzeugt davon, dass sie absichtlich dafür sorgt, dass sie nachsitzen muss, um mir aus dem Weg zu gehen. Ich bin hin und her gerissen: einerseits am Boden zerstört und gleichzeitig beeindruckt von ihrem äußerst geschickten und klugen strategischen schlechten Benehmen.
    Inzwischen nutzt Toby Nats Abwesenheit nach Kräften aus, um mir zu folgen wie ein Kätzchen dem Wollknäuel: Er tätschelt mich sogar ab und zu, um sich zu vergewissern, dass ich noch da bin.
    Â»Harriet«, flüstert er in der sechsten Stunde in Englische Literatur. »Ist es nicht toll, so viel Zeit miteinander zu verbringen?«
    Ich gebe ein unverbindliches Grunzen von mir und kritzle noch ein Auge in mein Heft.
    Â»Ich habe wirklich das Gefühl, dich jetzt schon viel besser zu kennen«, fährt Toby begeistert fort. »Zum Beispiel weiß ich, dass du um zehn Uhr direkt zur Toilette gehst, und wenn du wieder rauskommst, sind deine Haare viel ordentlicher, also kann ich wohl annehmen, dass du vor dem Toilettenspiegel deinen Pferdeschwanz richtest.«
    Ich kritzle weiter.
    Â»Und«, flüstert er aufgeregt, »um fünf nach zwölf gehst du wieder zur Toilette, und wenn du um Viertel nach zwölf rauskommst, sind deine Augen ganz geschwollen und rot gerändert. Was, wie ich nur vermuten kann, bedeutet, dass du da reingehst, um in Ruhe zu weinen.«
    Ich starre ihn zornig an. »Ich mache das nicht jeden Mittag, Toby.«
    Â»Nicht?« Er holt einen

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