Mode ist ein glitzernder Goldfisch

trotzdem irgendwie: Was auch immer Alexa im Schilde führt, ich wünschte, sie hätte stattdessen die Fäuste eingesetzt.
    Ich schaue auf die Zeitung. »W…w…was ist das?«
    Â»Das hier?« Alexa richtet den Blick darauf. »Das ist ein Artikel, Harriet. Da geht’s um eine fünfzehnjährige Schülerin. Die neueste Muse der Modeindustrie. Hat, wie es scheint, die Modewelt gestern im Sturm erobert. Wo war das noch? Ach ja, in Moskau.«
    Eine Eiseskälte überkommt mich, und mir ist, als müsste ich kotzen. Ich vergesse immer wieder, wie clever Alexa ist. Und auch, wie grausam sie sein kann.
    Â»Das ist in Russland«, fügt sie hinzu. »Falls du dich fragst, ob ich das weiß.«
    Unmöglich. Ich bin doch gerade erst zurückgekommen. Das kann nicht sein. Das hätte ja … heute Nacht noch gedruckt werden müssen.
    Was so unrealistisch gar nicht ist.
    Alexa tritt grinsend näher, bis ich die Zeitungsseite erkennen kann. Und auf der prangt – in voller Pracht – ein großes Foto von mir, auf dem Laufsteg sitzend, Fleur neben mir. Und die Schlagzeile lautet: Umwerfender Auftritt: Englische Schülerin erobert Modewelt im Sturm.
    Â»Ich …«, murmele ich, doch innerlich bin ich zu Eis erstarrt, und meine Ohren sind wieder ganz taub.»Ich … ich …«
    Â»Ich, ich, ich«, äfft Alexa mich nach, und dann richtet sie den Blick wieder auf die Zeitung. »Ich weiß. Ist mir unbegreiflich, wieso jemand ein Foto von dir will, aber du kriegst es doch immer wieder hin, dich zum Affen machen, egal in was für einer Situation.«
    Irgendwo im Hinterkopf kapiere ich endlich das ganze Ausmaß der Katastrophe. »Du hast das… aber niemandem gezeigt, oder?«, flüstere ich, und meine Stimme klingt, als würde ich gewürgt. »Du hast doch niemandem diesen Artikel gezeigt, oder?«
    Alexa tut schockiert.
    Â»Wem denn? Etwa unserer Schulleiterin? Die es bestimmt interessant finden würde, warum du zwei Tage nicht in der Schule warst? Sicher doch. Ich bin extra zurück zur Schule und habe ihr ein Exemplar gegeben. Ich glaube, die Strafe dafür, ohne Erlaubnis dem Unterricht fernzubleiben, ist ein vorübergehender Ausschluss vom Unterricht, oder? Oder womöglich«, sie richtet den Blick noch einmal auf die Zeitung, »in seltenen, öffentlichen Fällen sogar ein Schulverweis.«
    Mein Kopf fängt an zu kreiseln. Ich soll vom Unterricht ausgeschlossen oder gar der Schule verwiesen werden? Ich, Harriet Manners? Ich werde doch nicht vom Unterricht ausgeschlossen. Und ich werde bestimmt nicht der Schule verwiesen.
    Und dann schüttle ich den Kopf. Eine wichtigere Frage drängt sich vor. »Hast du es sonst noch jemandem gezeigt?«
    Alexa lacht. »Wie? Zum Beispiel Nat? Dem Mädchen, das, seit wir sieben Jahre alt sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit erzählt, dass es Model werden will? Das Mädchen, das seit der Clothes Show mit niemandem mehr spricht und jeden Tag in der Toilette flennt? Das Mädchen, das die letzten zwei Tage jedem erzählt hat, du hättest eine Erkältung, und das auch zu glauben schien?« Alexa zieht die Augenbrauen hoch. »Wie?«, sagt sie in gespielter Unschuld. »Sollte ich das etwa nicht?«
    O nein. O nein, oneinoneinonein.
    Â»Hast du es Nat erzählt?«, schreie ich in voller Lautstärke. Ich habe keine Angst mehr, wenigstens nicht vor Alexa. »Hast du es ihr erzählt?«
    Â»Nein«, sagt Alexa. »Aber ich habe ihr gerade eine Kopie dieser Seite in den Briefkasten gesteckt.« Damit dreht sie sich um und fasst sich in die Haare. »Das nennt man auch Rache, Harriet. Oder Vergeltung. Die Quittung kriegen. Such’s dir aus. Ich kenne viele Begriffe dafür.«
    Eben hatte ich noch das Gefühl, meine Welt käme so langsam wieder ins Lot – schon gerät sie wieder in die Schieflage. Und zwar gewaltig.

54
    I ch laufe, so schnell ich kann, aber es nützt nichts. Wie meine Sportlehrerin mir seit zehn Jahren erklärt, sind meine Beine einfach nicht schnell genug.
    Sobald ich mein Handy einschalte, weiß ich, dass mein Leben kurz vor dem Kollaps steht. Ich habe fünfzehn Anrufe von Wilbur, und egal, wen ich anrufe, keiner geht ran.
    Â»Hallo. Hier ist Richard Manners. Ich habe im Augenblick Besuch von Julia Roberts, aber ich rufe Sie gern zurück, wenn sie gegangen ist. PIEPS.«
    Â»Dad«, keuche ich