Model-Ich (German Edition)
der Art zu sagen wie: »Mir doch egal, wo sich der Alte schon wieder rumtreibt. Bei uns herrscht gerade Eiszeit, deshalb musste ich dringend einen Abend raus, um mich schön und begehrenswert zu fühlen.« Stattdessen bin ich ehrlich und sage: »Mein Mann ist zu Hause und passt auf die Hunde auf, weil er keine Lust auf den roten Teppich und das Blitzlichtgewitter hat.« Diese Antwort stiftet von allen möglichen die meiste Verwirrung. Ein Paar, das sich nicht knutschend und fummelnd auf Veranstaltungen zeigt, um der ganzen Welt zu beweisen, wie glücklich es ist? Irgendwas stimmt da nicht!
Bei aller Übung frage ich mich trotzdem nach jedem Interview: Was hab ich jetzt wieder für einen Stuss erzählt? Wie wird mir das ausgelegt? Warum bin ich immer noch nicht gelassener? So wie einige der Leute, die ich schon interviewen durfte. Da fällt mir sofort Kevin Spacey ein. Ich sollte ihm bei einer Veranstaltung auf der Berlinale ein paar Fragen stellen. Der Saal war brechend voll und die Leute kamen auch dann nicht zur Ruhe, als wir mit dem Interview längst angefangen hatten. Während ich noch versuchte, meinen besten Reporterblick aufzulegen, wandte sich Spacey zu den Gästen und sagte: »Shut the fuck up!« Und es war ihm beneidenswert egal, was die Leute von ihm hielten.
JAPAN
MEIN VATER BRACHTE MICH ZUM FLUGHAFEN in Leipzig und ich heulte während der ganzen Fahrt. Ich war gerade von meinem ersten Ausflug als Model aus Paris zurückgekommen. Die Reise war kein Erfolg gewesen, ich kam ohne Jobs und mit viel Frust wieder zu Hause an. Und nun musste ich Niklas und meine Familie schon wieder verlassen, diesmal, um für sechs Wochen in Tokio zu arbeiten. Was wusste ich schon von Japan? Ich war 18, kam vom Land und weiter östlich als Polen war ich nie gereist. Ich wusste nur, was mir die Agentur versprochen hatte: In Japan kannst du Geld verdienen. Wenn ich als Model weitermachen wollte, musste ich in den Flieger steigen.
Ich kam an und hatte das Gefühl, auf einem fremden Planeten gelandet zu sein. Die gigantischen Hochhäuser, die Menschenmassen, die wummernde Musik, die aus allen Geschäften dröhnte, in einer Sprache, die ich nicht verstand – er war überwältigend. Mein Fahrer brachte mich in ein kleines Apartment, in dem die Türen aus Papier bestanden und wo ich mich auf eine Bambusmatte fallen ließ. Ich war ganz allein, ohne andere Models, ohne Aufpasser. Nachdem ich die erste Woche so verbracht hatte – entweder in der gespenstisch stillen Wohnung oder mit dem Fahrer unterwegs in einer nie zu enden scheinenden, hektischen Megastadt – gab ich mich dem Jetlag geschlagen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich an einem Ort, an dem ich niemanden kannte. Dafür kannte mich auch niemand. Wann würde ich das schon noch mal erleben?
Ich fing an, an meinen freien Tagen herumzuwandern, und saugte jeden neuen Eindruck in mich auf. Ich hatte kein Ziel,
außer alles zu beobachten. Es ist erstaunlich, was einem auffällt, wenn man nicht in seiner vertrauten Umgebung ist. Die Taxifahrer mit ihren weißen Handschuhen und den Häkeldeckchen auf der Ablage. Die imponierende Höflichkeit, mit der selbst junge Leute in meinem Alter aufeinander zugehen. Die verrückten Klamotten in den Läden. Ich kaufte mir zwei Paar Baggy Jeans und kam mir ganz schön cool vor. Als Nächstes traute ich mich, etwas anderes im Supermarkt zu kaufen als Weißbrot und Nutella. Ich lernte langsam und vorsichtig die japanischen Essgewohnheiten kennen und stellte fest, dass es aufregend sein kann, neue Dinge auszuprobieren – wenn man den Mut dazu findet. Das stille, verängstigte Mädchen musste ich hier hinter mir lassen. Also riss ich mich zusammen und versuchte, mich wie eine junge Frau zu benehmen, die beruflich die Welt bereist. Sobald ich mich davon selbst überzeugt hatte, wurde alles viel einfacher. Ich hatte eine neue Seite an mir entdeckt.
Eine weitere Beobachtung über Japan: Es wird nichts dem Zufall überlassen. Alles muss perfekt sein. Wenn ich nicht gerade von einem Chauffeur mit einer Reisegruppe von sechs anderen Models von der Haustür direkt zur Location gefahren wurde, bekam ich von meiner Agentur einen laminierten, selbst gezeichneten Stadtplan in die Hand gedrückt. Auf diesen Plänen war nicht nur die U-Bahn-Station markiert, an der man aussteigen musste, sondern jedes Geschäft und jede Ampel, an denen man auf dem Weg zum Zielort vorbeilaufen würde. Es war wie analoges GPS.
Damals wusste ich es noch nicht, aber die
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