Model-Ich (German Edition)
fast ausschließlich an sehr schlanken Frauen gezeigt wird – aber bei dem Begriff »Magermodel« ist mir unwohl. Man macht es sich zu leicht, wenn man alle Models unter Generalverdacht stellt und sagt: »Sie sind daran schuld, dass Frauen falsche Maßstäbe an ihre Körper setzen. Sie sind schlechte Vorbilder für junge Mädchen. « Wenn ich mir die Bilder von den aktuellen Modenschauen angucke, bin ich auch schockiert, wie knochig einige der Mädchen aussehen. Ich weiß aber auch, dass ich mit 16 Jahren nicht viel anders aussah und mich dabei normal ernährt habe. Deshalb will ich diesen Models nichts vorwerfen oder unterstellen. Krankhaft ist für mich dagegen, wenn Designer oder Agenten von 22-jährigen Frauen erwarten, dass sie ihre kindlichen Körper behalten. Für die meisten Frauen ist das unmöglich zu schaffen und zudem einfach ungesund.
Ich selbst hatte Glück und wurde von meinen Agenturen nie dazu aufgefordert, Diät zu halten. Ich habe jedoch erlebt, wie sich andere Frauen verrückt gemacht haben, um dem Ideal der Industrie zu entsprechen. Wenn man zum Abnehmen aufgefordert
wird, nagt das einfach an einem. Meine Freundin Carmen ist in New York zum Beispiel ständig zum Pilates gerannt, obwohl an ihr kein Gramm Fett war. Eine andere Mitbewohnerin hat vor dem Spiegel immer wieder geübt, in welchen Posen sie am dünnsten aussah. »Kein Weißbrot« war für viele Mädchen so etwas wie ihr persönliches Mantra. Es mag lächerlich klingen, aber der Satz »Sieht mein Hintern in der Hose fett aus?« wird auch von Models ernsthaft benutzt.
Viele Geschichten über Models halte ich allerdings für Quatsch. Mein Lieblingsgerücht ist, dass wir in Orangensaft getränkte Wattebäusche essen, um dünn zu bleiben. Genauso albern finde ich die Geschichte über die »Banana Bag«, ein Vitamintropf, an den sich Models angeblich für mehrere Wochen hängen lassen, um Nährstoffe zu bekommen, aber nicht essen zu müssen. Oder die, dass sich manche Mädchen die Beine brechen lassen, um größer zu werden. Ich weiß nicht, wie diese Geschichten entstehen. Nichts davon habe ich jemals in Aktion erlebt und bin mir sicher, dass auch nichts davon empfehlenswert wäre.
In Interviews werde ich immer wieder nach meinem Geheimnis gefragt. Machst du Diät? Wie sehr achtest du auf deine Ernährung? Gehst du jeden Tag zum Sport? Oft klingt es, als wollten sie eigentlich wissen: Wie sehr musst du dich quälen, um so auszusehen? Die Wahrheit ist: Ich quäle meinen Körper nicht. Ich ernähre mich gesund, ich gehe auch mal zum Sport, aber ich habe noch nie eine Diät gemacht. Wenn ich das dann sage, habe ich oft das Gefühl, mein Gegenüber ist fast ein wenig enttäuscht. Aber so ist es nun mal. Nur, und wirklich nur, wenn ich in Bikinis oder Wäsche fotografiert werde, achte ich darauf, dass ich nicht das ganze Mittagsbüffet abräume, sonst wächst mir nach dem Essen eine kleine Plauze. Und den ganzen Tag den Bauch einzuziehen kann ganz schön anstrengend sein.
Mit Anfang 20 fing mein Körper an, sich zu verändern. Ich hatte plötzlich kleine Röllchen an der Hüfte, meine »love handles«.
Eigentlich war ich froh darüber, langsam weiblichere Formen zu bekommen, trotzdem war ich kurzzeitig über meine Figur verzweifelt. Muss ich jetzt aufs Laufband und trainieren? Auf meine geliebten Kartoffelchips verzichten? Vielen anderen Models in meinem Alter ging es ja ähnlich. Ich beschloss, dass mir meine Röllchen egal sein sollten. Über Sport hätte ich nachdenken können, aber beim Essen hört der Spaß auf. Beim Abmessen, was meiner Meinung nach sowieso keinem anderen Zweck dient, als Models einzuschüchtern, würde ich einfach den Atem anhalten.
Meine neue Taktik wurde auf die Probe gestellt, als mich Chanel für die Pret-à-Porter-Schau buchen wollte und ich zur Anprobe ins Schneideratelier musste, wo natürlich gleich das gefürchtete Maßband rausgeholt wurde. Ich ließ mir nichts anmerken, selbst dann nicht, als mir die Chefin des Ateliers das Band um die Taille legte. Aber dann schnappte sich Madame meinen (nicht vorhandenen) Hüftspeck, hielt ihn zwischen Daumen- und Zeigefinger und wackelte daran rum: »Das! Das musst du loswerden! Es ist zu viel. Das ist nicht gut.«
Die Schau bin ich übrigens nicht gelaufen. Dafür ging ich direkt nach der Anprobe zu einem Bäcker und gönnte mir auf den Schreck ein Schokoladencroissant. Ich habe nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht, für einen Designer abzunehmen – nicht
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