Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
schon klar. Sie sagen, ich soll mich doch mit ihr anfreunden. Aber ich habe es versucht, und wir haben nicht wirklich viel gemeinsam.«
Sie sieht mich an, und plötzlich leuchtet ihr Superhirn auf. Ausnahmsweise weiß ich sofort, was sie denkt.
»Ja, lade sie gern zu mir ein«, sage ich. »Sie kann jederzeit vorbeikommen.«
Also kommt sie vorbei.
Sie bewundert meine Wand mit den Vogue -Fotos und die andere Wand mit den Postern der Kostümausstellungen im V&A, und ich merke, dass sie auf Wolke sieben schwebt.
Dann kuschelt sie sich in meinen Lieblingssessel, den aus lila Samt, und erzählt uns von ihren Skizzen und den Besuchen im V&A und wie sie nach der Schule Kleider schneidert. Anscheinend ist sie oft alleine, und dann zieht sie los, um sich Kleider anzusehen, oder sie bleibt zu Hause und macht welche aus den Stoffen, die sie in die Finger bekommt. Und sie zeichnet ständig an ihren Entwürfen. Seiten über Seiten über Seiten davon.
Ich erkundige mich nach ihrer Familie, aber sie sieht an mir vorbei, und ich weiß nicht, ob sie mich gehört hat. Leise sagt sie, dass sie in Uganda aufgewachsen ist und ihre Eltern und mehrere ihrer Tanten, Onkel und Cousins immer noch da leben und dass sie ihre Familie mit acht Jahren verlassen musste, um nach England zu kommen.
»Warum?«, frage ich schockiert. Ich meine, ich liebe England und alles, aber als Kind seine Familie zu verlassen, um hierherzukommen, scheint mir ein bisschen übertrieben.
Krähe blickt zu Boden und zuckt die Schultern. Ewigkeiten sagt sie gar nichts, und wir warten einfach. Schließlich blickt sie auf.
»In meiner Heimat war es schwierig. Mein Vater wollte, dass ich eine englische Ausbildung bekomme. Wenn meine kleine Schwester älter ist, kommt sie vielleicht auch.«
»Wie oft siehst du deine Eltern?«, frage ich. Mein Vater lebt in Paris. Meine Mutter hat ihn kennengelernt, als sie dort Model war. Ich sehe ihn nur zweimal im Jahr, was viel zu wenig ist.Harrys Vater lebt in Brasilien (Mum ist viel gereist), und bei ihm ist es noch schlimmer.
»Nicht so oft.«
»Wie oft?«
»Nie«, flüstert sie. »Sie schicken Fotos. Meine Schwester Victoria malt mir Bilder. Sie ist jetzt vier. Fast fünf.« Krähe klappt ihre Schultasche auf und zieht ein paar gefaltete Seiten heraus. Darauf sind lauter Zeichnungen von grinsenden Kindern mit Strichfingern und bunten, dreieckigen Kleidern unter knallblauen Himmeln. Sie sind mit »Victoria« signiert, in der selbstbewussten Handschrift einer Vierjährigen.
»Und bei wem wohnst du?«
»Bei meiner Tante Florence. Sie ist schon vor Jahren hergekommen. Sie putzt in meiner Schule. Sie arbeitet sehr viel.«
Edie und ich lächeln sie ermutigend an. Wir wissen nicht, was wir sagen sollen.
Bei Krähes zweitem Besuch herrscht in meinem Zimmer Chaos. Ich hatte eine Idee für ein Minikleid und habe auf der Suche nach Inspiration meine Bücherregale durchwühlt. Jetzt liegen meine Bücher überall herum, und ich habe wirklich viele. Literarisch bin ich nicht sehr bewandert, aber wenn ein neues Buch über Mode rauskommt, muss ich es haben. Mum, mein Vater und Granny sind sehr großzügig (auch wenn mein Vater darauf besteht, mir die Bücher auf Französisch zu schenken, damit ich es lerne). Bei mir gibt es alles, von ernsthaften Sachbüchern über die Geschichte der Mode bis hin zu Anziehpuppen aus Papier. Ich sammle Modebücher, seit ich sieben bin. Jetzt liegen die meisten davon aufgeschlagen auf dem Teppich, und ich versuche verzweifelt einen Weg frei zu machen, damit Krähe reinkommen kann, ohne auf eins zu treten.
Allerdings bewegt sie sich nicht vom Fleck. Sie ist wie angewurzelt stehen geblieben. Edie sieht mich verwundert an. Es ist ihr noch nie passiert, dass Krähe sich für ein Buch begeistert.
Das Tolle an Modebüchern sind natürlich die Bilder. Riesige ganzseitige Fotos und wunderschöne Illustrationen. Krähes Blick wandert von einem Balenciaga-Ballkeid zu einer elisabethanischen Halskrause. Sie bückt sich und streicht mit den Fingern über das Papier.
»Steht da Dior?«, fragt sie.
»Ja«, sagt Edie, die sich sofort in eine Lehrerin verwandelt. »Und da steht Christian. Sein … äh … Vorname.«
»Dior ist mein Held«, haucht Krähe. »Bei uns oben im Haus wohnt eine Frau, Yvette. Sie hat für Dior gearbeitet. Sie bringt mir Nähen und Stricken bei. Und sie erzählt mir immer von ihm.«
Edie und ich tauschen einen Blick. Wir haben beide den gleichen Verdacht, nämlich dass da jemand die
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