Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
aus.
Bei ihrem letzten Besuch im Atelier hat Jenny Pablo von ihrem Busenkomplex erzählt, und er hat versprochen, ihn zu kaschieren. Wenigstens das hat er hinbekommen. Ihre Brüste sind irgendwo unter dem wallenden purpurnen Chiffon versteckt, der am Schlüsselbein ansetzt und sich bis zur Mitte der Oberschenkel bauscht, wo das Kleid abrupt endet, als hätte es plötzlich weggemusst, und Jennys rosa-weiße Beine etwas verloren zurücklässt.
Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte, das passiert mir sonst nie, aber das hier ist eine ziemliche Herausforderung. Auch Edie beißt sich auf die Lippen.
Pablos Assistentin bereitet die letzte Anprobe vor. Ihr Mund ist voller Stecknadeln und sie fängt an, an dem Kleid herumzufummeln, wobei sie irgendwas von »fröhliche Farbe« murmelt.
»Wie findest du es, Nonie?«, fragt Jenny mich und schlüpft in ein Paar goldene Stilettos. Sie sieht nervös und unsicher aus (und würde sich hervorragend auf Rucola-Salat machen).
Ich lächele ermutigend, aber ich sage nichts. Wenn ich mir ihren Auftritt auf dem roten Teppich vorstelle, tut es weh.
Edie kann sich nicht beherrschen.
»Du siehst aus wie eine Kirschtomate«, platzt sie heraus. »In Stöckelschuhen.«
Ausgerechnet sie will Diplomatin werden.
Zehn Minuten später, nach allerhand Verrenkungen und Änderungen hinter einem alten verschlissenen Vorhang, kommt Jenny in Jeans und T-Shirt wieder heraus und wirkt völlig fertig.Ich habe schon oft versucht ihr zu erklären, wie toll sie in abgeschnittenen Jeans und einem in der Taille geknoteten Hemd à la Marilyn aussehen würde, aber sie ist zu deprimiert, um mir zuzuhören.
Edie hat von mir einen bösen Blick kassiert, den sie mit einem Schulterzucken beantwortet. Sie glaubt an Ehrlichkeit unter Freundinnen. Weil sie zu sehr damit beschäftigt ist, hochintelligent zu sein, bemerkt sie die Konsequenzen nicht.
Ihretwegen müssen wir zur U-Bahn rennen, um wieder ans andere Ende von London zu kommen. Samstagnachmittags gibt Edie Kindern mit Lernschwächen ehrenamtlich Nachhilfe. In Edies Leben dreht sich alles darum, Extrapunkte für ihren Lebenslauf zu sammeln, weil sie sich in drei Jahren an der Harvard-Universität bewerben will. Anscheinend muss man in Harvard studiert haben, um zur UNO zu gehen. Reese Witherspoon war in Natürlich blond auch in Harvard. Ich erinnere mich vage, wie die Film-Reese für ihre Bewerbung ein Video von sich am Swimmingpool gedreht hat, und die Harvard-Professoren haben sie prompt aufgenommen. Bei Edie klingt es etwas komplizierter. Nicht nur, weil es in London so wenige Swimmingpools gibt.
In der Zwischenzeit habe ich versprochen, Jenny zu einem Smoothie im Victoria-&-Albert-Museum (»V&A«, für Freunde des Museums) einzuladen, das gleich bei uns um die Ecke ist. Das V&A ist der coolste Ort in London und es hat das schickste Café: mit wunderschönen alten Fliesen an den Wänden, riesigen Lampen, die wie Hüpfbälle aussehen, und den besten Smoothies, die ich im Lauf jahrelanger Marktforschung gekostet habe.
Es ist Jennys letzte Gelegenheit, etwas Normales zu unternehmen, bevor die Promotion-Tour für den Film richtig losgeht. DieLondoner Premiere findet nächsten Samstag statt. Davor hat sie jede Menge Interviews, Fernseh- und Fototermine. Danach noch mehr Interviews. Dann fliegen sie nach New York, Los Angeles und Japan und alles geht von vorne los.
Pablo Dodo sagt, für die New Yorker Premiere hat er sich einen Traum in Rosa ausgedacht. Gnade uns Gott!
Auf dem Weg zur U-Bahn rufen ein paar Männer in speckigen Jeans und Jeansjacken von der anderen Straßenseite zu uns rüber.
»Hey, Flippie!«
»Besorg dir was zum Anziehen, Silberbein.«
Edie legt schützend den Arm um mich, und Jenny hält meine Hand, aber ich bin das gewohnt. Und es macht mir eigentlich gar nichts aus. Würde ein umwerfend toller Modegott mein Outfit runtermachen, wäre ich vielleicht ein bisschen irritiert, aber von Typen, die von Kopf bis Fuß in Jeans stecken, brauche ich mich wirklich nicht verunsichern zu lassen.
Edie versucht das Thema zu wechseln. Mit Betonung auf »versucht«.
»Du müsstest mal das Mädchen sehen, dem ich Nachhilfe gebe«, sagt sie. »Die zieht sich richtig ausgeflippt an. Sie hatte schon die verschiedensten Phasen, aber im Moment sind esTutus und Elfenflügel. Ich meine, Ballettröckchen an Fünfjährigen sind echt süß, aber sie ist zwölf. Und man weiß nie, in was sie als Nächstes aufkreuzt. Das heißt, falls sie
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