Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
flüstere ich zurück. Immerhin präsentiert man nicht jeden Tag eine neue Kollektion, geht zu einer Beerdigung und lässt den einzigen nahen Verwandten, der auf dem gleichen Kontinent lebt, in einem anderen Land zurück, nur weil der Platz auf dem Fußboden nicht reicht.
»Natürlich!«, sagt sie. »Wusstest du, dass es Unglück bringt, wenn man das Etikett nicht erst ganz am Schluss einnäht? Die Mains sind da wirklich abergläubisch. Das hatte ich noch nie gehört …«
Ihre Stimme wird leiser und ich merke, dass sie wieder eingeschlafen ist.
» Was hat sie gesagt?«, flüstert Edie heiser aus Papas Atelier, wo sie sich mit ihrem Schlafsack eingerollt hat.
»Irgendwas von Etiketten«, sage ich.
»Typisch!«
Ich höre ein Rumpeln in der Ferne. Das muss die Métro sein, denke ich, bis ich merke, dass es Papas Schnarchen ist. Er ist wirklich ein beeindruckender Schnarcher. Damit muss er meine Mutter in den Wahnsinn getrieben haben in der kurzen Zeit, als sie zusammen waren. Edie muss kichern und sie steckt mich an. Dann fragt sie noch mal, was Granny mit der Ballett-Sache meinte, was zu einem längeren Gespräch führt, und plötzlich ist es vier und wir sind noch wach.
Da hilft nur eins. Heiße Schokolade in Papas Küche, mit echter geschmolzener Schokolade und dem Rest von Papas Milch. Es wäre viel einfacher, wenn man Champagner dazu nehmen könnte.
»Ich habe einen Entschluss gefasst«, sagt Edie nachdenklich, während sie mit der heißen Schokolade auf dem wackligen Stuhl balanciert und hinaus auf den Fluss sieht, wo sich die Laternen und das tiefe Blau des Himmels vor der Dämmerung im kräuselnden Wasser spiegeln.
»Und der wäre?«, frage ich nervös. Sie will den Friedensnobelpreis gewinnen? Sie will nächstes Jahr in Mathe einen Uni-Kurs belegen?
»Paris ist die absolut romantischste Stadt der Welt. Irgendwann werde ich hierherziehen müssen.«
Ich bin sprachlos. Ich bezweifle, dass ich je gehört habe, wie Edie das Wort »romantisch« benutzt, außer in einem Schulaufsatz über Jane Austen. Aber natürlich hat sie vollkommen Recht.
Am Morgen findet uns Papa, wie wir mit dem Kopf auf dem Küchentisch schlafen, und er erlaubt uns nicht aufzustehen, bevor er eine schnelle Skizze von uns gemacht und sich kaputtgelacht hat.
Langsam verstehe ich, was Mum meint, wenn sie sagt, dass das Leben mit einem Künstler ein Albtraum ist.
Zu Hause in London setzt sich Krähe sofort an ihre neuen Haute-Couture-Entwürfe. Sie hat jede Menge Kundinnen, die Kleider für Bälle und Preisverleihungen brauchen, und sie sprudelt vor Ideen.
Andere knapp Vierzehnjährige verbringen ihre Zeit mit SMS schreiben, YouTube gucken und fernsehen. Ich gestehe, dass ich so was mit vierzehn manchmal getan habe. Na gut, häufig. Aber Krähe ist eben nicht wie andere Menschen. Sie hat keinen Computer. Ihr Handy benutzt sie praktisch nie, außer um Fotos zu machen. Sie hasst lesen. Hasst tippen. Hat an fernsehen kein Interesse.
Sie liebt Spielfilme und Galerien und Kunst-Partys und alles, was ihre Fantasie anregt. Doch die meiste Zeit nach der Schule verbringt sie in ihrem Atelier, oder sie wandert durch die Londoner Straßen und denkt sich Entwürfe aus, oder sie entwickelt neue Methoden, wie sie ihre Ideen an der Schneiderpuppe zum Leben erwecken kann.
Seit Krähe berühmt ist, schreiben viele Mädchen auf Edies Website, wie gern sie mit ihr tauschen würden, aber ich bezweifle, dass sie wirklich gern Krähes Leben hätten. Krähe findet es himmlisch, aber wie gesagt, sie ist anders als andere Menschen. Im positiven Sinn. Edie, die immer alle Nachrichten beantwortet, erklärt den Mädchen, dass sie erst mal zehntausend Modeskizzen zum Üben machen sollten und ein Dior-Kleid aus dem Gedächtnis nachnähen müssten, wie Krähe, dann kämen sie der Sache vielleicht näher. Edie ist streng, aber gerecht.
Im Moment ist sie dabei, mit ihren Internetleuten über die Sicherheit ihrer Website zu reden (endlich), und ich soll eigentlich meinen Aufsatz über Shakespeare fertig schreiben. Aber noch dringender muss ich mich mit Jenny treffen.
Wie jeden Samstagmorgen verabreden wir uns im Café des Victoria-and-Albert-Museums. Ich war in Paris und habe mehr oder weniger mit einem Balletttänzer geflirtet. Ich kann es kaum abwarten, bis sie mich löchert, wie es gelaufen ist.
»Es war toll«, sagt sie.
»Was war toll?«
»Das Treffen mit Bill. Ich muss dir ALLES erzählen.«
»Kann ich nur kurz …«
»Also, zuerst habe ich gedacht,
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