Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
Gewölbe des Taj Mahal. Es ist Mittag und schrecklich heiß. Wir fühlen uns schmutzig, hungrig und etwas überwältigt. Der Ladenbesitzer sieht, dass wir in den Seilen hängen, und bietet uns Tee an. Das gibt es bei Miss Teen nicht. Edie will Nein sagen, doch ich erinnere sie daran, dass das Wasser abgekocht ist, und sie ist so müde und verzweifelt, dass sie schließlich nachgibt.
Es ist der köstlichste Tee, den wir je getrunken haben. Der Besitzer zaubert von irgendwo Sitzkissen herbei und wahrscheinlich dürften wir den ganzen Tag hierbleiben. Außer dass Krähe genau in diesem Moment aus dem Laden rennt, aus heiterem Himmel und ganz ohne Vorwarnung.
Was ist los?
Harry lässt die Körbe fallen und läuft ihr nach. Und wir lassen gezwungenermaßen unsere Tassen fallen und laufen den beiden hinterher, bevor es zu spät ist.
Wir stürzen die Gasse hinunter, haarscharf an Autos, Fahrrädern, Tieren und Menschen vorbei. Im letzten Moment sehen wir, wie Harry rechts um die Ecke biegt (ein Glück, dass er so groß ist), und rennen, so schnell wir können, hinterher. Edie läuft viel besser als ich. Nicht umsonst war sie fünf Jahre im Leichtathletikteam. Auf einmal fürchte ich, dass ich keinen von ihnen je wiedersehe. Das Seitenstechen, das zehn Sekunden nach unserem Start angefangen hat, fühlt sich an, als würde es mich in zwei Teile reißen, und ich muss anhalten.
Keuchend hocke ich mich hin und frage mich, was ich machen soll. Die Leute steigen über mich hinweg, als wäre ich gar nicht da. Ich bin allein in einem Labyrinth von Läden und habe keine Ahnung, wohin ich soll und wie ich da hinkomme. Es ist, als säße ich in einem meiner DS-Spiele fest, nur ohne die Option abzubrechen. Und ich würde im Moment wirklich gerne abbrechen. Stattdessen bleibe ich, wo ich bin, und rede mir ein, dass alles gut wird.
Nach ein paar Minuten taucht Edie an der Ecke auf. Ich war noch nie so froh sie zu sehen. Auch sie sieht erleichtert und völlig eingestaubt aus. Ächzend lässt sie sich neben mich sinken und hält mir ihre Wasserflasche hin. Ausnahmsweise nehme ich sie dankbar an.
Dann kommen Harry und Krähe zusammen zurück. Sie sehen verschwitzt und müde und enttäuscht aus.
»Was sollte das denn?«, frage ich.
»Ich habe etwas gesehen«, sagt Krähe. Sie nimmt sich die Wasserflasche und trinkt einen großen Schluck.
»Was?«
»Svetlanas Kleid.«
»Im Ernst?«
Edie sieht uns verwirrt an.
»Svetlanas Kleid«, erkläre ich. »Das goldbestickte Kleid, das Svetlana bei der Vorstellung der Miss-Teen-Kollektion anhatte. Das beste Stück aus der Kollektion. Ich meine, wenn du es bei einer Party in New York gesehen hättest, würdest du sagen, ja, klar, sie kann es auf eBay ersteigert haben. Aber hier? Wer soll es hier tragen?«
»Ich habe es an einem Jungen gesehen«, sagt Krähe zwischen zwei Schlucken Wasser. »Er war im Perlenladen und hat ein Päckchen abgeholt. Ich habe ihn nur ganz kurz gesehen. Er hat das Kleid unter einem alten Hemd getragen, aber ich habe es trotzdem sofort erkannt. Ich musste ihm hinterher.«
Seht ihr? Krähe entgeht nichts. Der Junge hätte das Kleid wahrscheinlich unter einem Raumanzug anhaben können und Krähe hätte es sofort bemerkt. Aber warum hatte er es überhaupt an? Und wo hat er es her?
»Hast du ihn gefunden?«
Krähe zuckt die Schultern und Harry schüttelt den Kopf.
»Hier sind so viele kleine Gassen«, sagt Harry. »Er ist einfach verschwunden.«
Wir wandern noch eine halbe Stunde durch die Gassen, wobei wir uns fast wieder verirren, auf der Suche nach einem Jungen in einem Kleid. Spaß macht es keinen.
Im Taxi auf dem Rückweg zum Hotel sagt Edie: »Ihr erinnert euch doch an die Fotos, die uns Alisha gezeigt hat, auf denen zu sehen ist, wie die Kleider in der Fabrik genäht wurden?«
»Ja-a«, sage ich.
»Erinnert ihr euch, ob Svetlanas Kleid dabei war?«
Jetzt, wo sie es sagt, erinnere ich mich nicht. Was seltsam ist, weil es das wichtigste Stück der Kollektion ist. Es ist traumhaft bestickt. So nah wie man an die Roben kommen kann, die im V&A zu sehen sind, aber zum Preis von Miss Teen.
»Wir könnten Mr Patil fragen«, schlage ich vor.
Edie denkt eine Minute darüber nach, dann schüttelt sie den Kopf.
»Ich will das lieber erst mit Phil besprechen«, sagt sie.
Ich stöhne. Neuerdings muss sie alles immer erst mit Phil besprechen.
»Phil?«, fragt Harry.
»Das ist ihr Internetfreund«, erklärt Krähe. Dann tauschen sie und Harry einen Blick und Edie
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