Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
Damit …«
Er spricht es nicht aus. Damit sie das Haus Interessenten zeigen kann, die es vielleicht kaufen, und Mum und ich in irgendein Industrieloft in irgendeiner angesagten Gegend ziehen können. Juhu.
»Wie läuft’s eigentlich mit eurer Wohnungssuche?«, frage ich. Irgendwie will ich es gar nicht wissen, und irgendwie doch.
Er zuckt die Schultern. »Isabelle kümmert sich um alles. Ich gehe dahin, wo sie mich hinbestellt.«
Ich sehe ihn scharf an. Eigentlich ist Harry seine Umgebung extrem wichtig. Wenn ich in seinem Zimmer irgendwas anfasse – die kleinste Kleinigkeit –, hält er es mir wochenlang vor. Und zwar nicht auf die nette Art. Ich bin überrascht, dass er so unbeteiligt klingt.
»Keine Sorge!«, sagt er, als er meinen Blick auffängt. »Es wird super. Isabelle will die perfekte Wohnung finden. Sie träumt schon seit Jahren davon. Und du musst ganz oft kommen und uns besuchen. Oft. Versprochen?«
Ich verspreche es. Aber irgendwas ist komisch an dieser Unterhaltung, und jetzt ist Harry wieder in seine Zeitschrift vertieft und es ist zu spät, der Sache auf den Grund zu gehen. Außerdem stelle ich mir vor, wie Liam an einem Leitartikel über die neuesten Trends in der Männermode arbeitet und überlegt, welche Fotos reinsollen …
Harrys Fahrrad steht im Keller, im Flur vor Krähes Atelier. Ich gehe nach unten und lege die Kette auf den Boden, damit Harry sie wieder anbringen kann, bevor er das Rad verkauft. Danach stehe ich eine Ewigkeit im Atelier herum. Es ist so leer und dunkel ohne Krähe.
Im Moment näht sie wahrscheinlich gerade Schultaschen mit Victoria. Ich wette, das macht Spaß. Vielleicht macht es ihr so viel Spaß, dass sie gar nicht mehr nach Hause kommen will. Als ich Krähe kennenlernte, konnte ich nicht verstehen, warum sie in London leben wollte, wo ihre Familie doch in Uganda war. Ich wusste nicht, wie gefährlich das Leben dort damals war. Inzwischen ist es viel sicherer geworden. Der Krieg mit all den Toten und Entführungen ist so gut wie vorbei. Krähes Eltern sind in ihr Dorf zurückgekehrt. Es gibt jetzt eine tolle Schule und bald wird Henry dort unterrichten, zusammen mit Krähes Vater. Ich könnte es ihr nicht verübeln, wenn sie sich zum Bleiben entschließt.
Plötzlich fühle ich mich einsam und verlassen. Ich gehe raus in den Garten, um ein bisschen Wärme und Sonne zu tanken. Es ist nicht gut, zitternd im Keller zu stehen. Ich brauche Luft.
Draußen unterhält sich Mum mit einem Mann, den ich nicht kenne, über Gartengrößen und Grundstückspreise bei uns in der Straße. Als sie sich umdreht und mich sieht, wirkt sie erschrocken.
»Oh. Schätzchen. Hallo.« Sie scheint über meinen Anblick nicht besonders erfreut zu sein. »Das ist Peter Anderson. Von nebenan.«
Der Mann kommt einen Schritt auf mich zu, und dann erkenne ich ihn wieder. Er sieht aus wie eine dünnere, größere Version von Colin Firth. Beim letzten Mal, als ich ihn gesehen habe, stand er bei uns im Wohnzimmer und wollte die Polizei holen. Er lächelt mich an und ich lächele zurück, obwohl mir überhaupt nicht nach Lächeln zumute ist.
»Tolles Haus«, sagt er. »Hat mir immer gefallen.«
Er tut fast so, als gehörte es ihm. Mum sieht mich ziemlich schuldbewusst an. Und dann fällt bei mir der Groschen. Mr Anderson muss ein potenzieller Käufer sein. Vielleicht legt er beide Häuser zusammen und macht ein Mega-Haus daraus. Die Straße runter hat das jemand gemacht und einen Swimmingpool unter den Garten gebaut. »Mehr Geld als Grips«, hat Mum damals gesagt, aber ich fand, es klang ganz schön cool.
»Mir hat es hier auch immer gefallen«, flüstere ich. Mum lächelt halb, aber sie sagt nichts. Seit meine Prüfungsergebnisse letzte Woche eingetrudelt sind, ist unser Verhältnis noch schwieriger geworden. Anscheinend waren meine Lehrer noch zu optimistisch. Meine Chancen, aufs College zu gehen, liegen praktisch bei null. Wenn ich so weitermache, bräuchte ich sogar Riesenglück, um einen Job bei Starbucks zu kriegen. Ich gehe wieder ins Haus. Mum ruft etwas hinter mir her, aber ich höre nicht, was sie sagt. Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.
Ich begegne Mr Anderson während der Ferien noch öfter. Er hat zwar noch nicht den Zollstock und Tapetenmuster dabei, aber man kann sehen, dass er im Kopf schon bei uns umräumt. Ich bin froh, dass ich ein paar Tage zu meinem Vater nach Paris fahre, bevor die Schule wieder anfängt.
Ich erzähle Papa von Krähe, und er tröstet mich.
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