Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
immer, das letzte Jahr an der Schule wäre herrlich. Wir wären die Ältesten und Größten und Coolsten, und alle würden zu uns aufsehen. Seit der siebten Klasse habe ich mich darauf gefreut. Allerdings hatte ich nicht bedacht, was außerdem dazugehört: nur gefühlte fünf Minuten bis zu den Abschlussprüfungen, und dann beginnt der Ernst des Lebens. In meinem Fall die lebenslange Karriere als Heißgetränkeherstellerin und Jungsverwirrerin.
Ich lasse Krähe ungefähr eine Woche Zeit, sich in London wieder einzuleben, bevor ich sie im Atelier abpasse und ihr von meinen traurigen Erkenntnissen erzähle.
»Das mit dem Label?«, fange ich an.
»Welches Label?«
»Deins. Also, ich fürchte, ich kann nicht mitmachen. Du brauchst Leute mit Erfahrung. Leute mit Qualifikation. Und dafür fehlen mir noch Jahre, selbst wenn ich könnte. Und ich kann nicht, weil meine Noten so grottenschlecht sind. Außerdem weiß ich sowieso nicht, was genau ich machen würde.«
»Nonie!« Sie sieht mich entsetzt an. Und vorwurfsvoll. »Sei nicht albern.«
»Ich bin nicht albern. Ich bin realistisch.«
Sie zuckt die Schultern. »Darüber reden wir später.«
»Es gibt kein Später«, widerspreche ich. »Das ist dein großer Moment. Das hat auch Andy Elat gesagt. Du musst es allein durchziehen.«
Sie sieht mich verletzt an. Dabei ist es zu ihrem Besten. Ich bin für sie doch nur ein Klotz am Bein.
»In diesem Moment «, äfft sie mich nach, was sie noch nie getan hat, »muss ich erst mal an die Schule denken. Ein Label wäre viel zu viel Arbeit.«
»Hat das dein Vater gesagt?«
»Ja«, gibt sie zu. »Aber ich bin ganz seiner Meinung.«
»Na gut, dann eben kein Label«, seufze ich. Doch ich habe noch nicht aufgegeben. Wenn ich Krähe schon nicht selbst helfen kann, kann ich ihr wenigstens einen Schubs in die richtige Richtung geben. Im Frühling stand sie kurz vor dem Durchbruch. Nur weil ich es nicht kann, heißt das nicht, dass sie es nicht kann. Ich sage nichts mehr, weil ich weiß, dass sie das Thema wechseln möchte, aber in meinem Gehirn arbeitet es weiter. Das Projekt Brechstange ist noch nicht gestorben.
In der Zwischenzeit fällt mir in der Schule zum ersten Mal auf, wie meine Lehrer seufzen, als sie mir die ersten Hausaufgabenthemen stellen. Als wüssten sie, dass sie die Antwort in Stichpunkten zurückbekommen, so als hätte ich nicht mehr als zehn Minuten hineingesteckt, was wahrscheinlich auch stimmt. Zum ersten Mal macht es mich traurig. Zum ersten Mal wird mir klar, dass mir die Schule nicht egal ist.
Ich versuche Edie um Rat zu bitten, aber sie sagt nur, ich solle »das Arbeitspensum in vernünftige wöchentliche Portionen« aufteilen. Das bringt mich kein bisschen weiter. Und auch sonst ist Edies Verhalten wenig hilfreich, weil sie sich so tief in Büchern und Aufsätzen vergräbt, dass ich sie kaum noch zu sehen bekomme, nicht mal in der Pause.
Ich würde mit Jenny darüber reden – sogar über Skype, wenn es sein muss –, aber sie hat ihre A-Levels verschoben und ist so in ihr Musical abgetaucht, dass sie wahrscheinlich nicht mal mehr weiß, was A-Levels überhaupt sind.
Doch von allen Kursen habe ich die meisten schlaflosen Nächte wegen Französisch. Dieses Jahr wurde Ballflachfreitag auf Ballflachmittwoch verlegt. Es gelten die gleichen Regeln. Das einzig Neue ist, dass Jenny in Elizabeth und Margaret auftritt, und wenn noch jemand den Klingelton seines Telefons auf »There’s no business like showbusiness« umstellt, gebe ich ihm eins auf die Nase.
Ich bin fest entschlossen, mich endlich auf den Unterricht zu konzentrieren und den Ball noch flacher zu halten als sonst, aber es nutzt nichts. Liam sitzt vier Reihen vor mir. Seine Haare sind seit dem Sommer ein Stück gewachsen, und sie locken sich über seinen Kragen. Er war in Irland und ist braun gebrannt. Wenn er den Arm nach rechts bewegt, sehe ich die Härchen auf seiner Haut …
Immer wenn ich mittwochs in die Klasse komme, halte ich die Luft an und hoffe, dass er mir eins seiner halb amüsierten Lächeln schenkt, wenn ich zu meinem Platz gehe. Doch irgendwie wirkt er nach der ersten Woche enttäuscht, und bis zur dritten Woche lächelt er kaum noch. Was habe ich falsch gemacht? Eigentlich soll ich auf Französisch über die Filmindustrie während der Nouvelle Vague nachdenken, aber ich kann nur an sein Lächeln denken, und dass es verschwunden ist.
Nach der Hälfte der Stunde vibriert meine Schultasche. Mein Handy. Vorsichtig schmuggele
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