Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
sich in ein nervöses Lächeln und dann in ein Grinsen. Sie nimmt mich in den Arm. Was ein bisschen umständlich ist, weil wir in echt engen Flugzeugsitzen stecken und Edie sowieso nicht die weltbeste Umarmerin ist. Aber sie versucht es, und das ist toll. Dann wird mir klar, dass ich mir jetzt keine stundenlangen Klagen über Jenny anhören muss, und das ist erst recht toll.
Fünf Minuten später kommt die Stewardess und fragt, was wir essen möchten. Ich sehe Edie an, aber sie ist eingeschlafen. Ihr Gesicht wirkt friedlicher, als ich sie seit Monaten gesehen habe. Und hübscher. Ich beschließe, dass sie Schlaf nötiger hat als Flugzeugessen, und lass sie schlafen.
Wodurch ich plötzlich mehrere Stunden zum Nachdenken habe. Ich bin nicht besonders gut im Nachdenken. Wenn ich nachdenke – außer über Liam –, dann gewöhnlich darüber, wie Krähe ohne mich Karriere macht, oder über Mum und Vicente und unser Haus, und das kann ich im Moment nicht verkraften.
Ich versuche mir auf dem winzigen Bildschirm eine romantische Komödie anzusehen, aber es hilft nicht. Am Ende denke ich über Isabelles Wohnung nach. Wie hübsch es dort ist. Wie voll mit Andenken an Harry. Und dann begreife ich endlich, was mich schon seit Monaten stört. Was bei den beiden nicht stimmt. Nach der Edie-Überraschung kann ich plötzlich alles in einem neuen Licht sehen.
Es ist nicht gerade eine schöne Erkenntnis über meinen Bruder. Im Gegenteil, sie ist eher tragisch. Stundenlang grüble ich und frage mich, was ich tun soll, und wünschte, ich könnte es einfach vergessen. Das Problem ist, ich liebe meinen Bruder, und ich muss was tun.
Glücklicherweise wohnt Isabelle während der Londoner Modenschauen im Hotel und nicht bei uns. Das hätte es relativ schwierig für mich gemacht zu sagen, was ich zu sagen habe. Und glücklicherweise stimmt Liam zu, dass ich wahrscheinlich das Richtige vorhabe, als ich ihm von meiner Erkenntnis erzähle. Nach dem Willkommen-zu-Hause-Kuss. Und dem Ich-hab-dich-vermisst-Kuss. Und noch ein paar anderen Küssen, die er sich einfallen lassen hat.
Ich finde einen geeigneten Moment, als Harry zu Hause ist und sonst nicht viel los. Ich stärke mich mit einem doppelten Cappuccino und einer Tüte M&Ms. Harry ist in seinem Zimmer und packt für Mailand, wo er bei ein paar Modenschauen auflegt, aber er scheint sich zu freuen, als ich ihn besuche. Ich fühle mich wie eine Verräterin.
»Du, Harry«, fange ich an, »du weißt doch, die Wohnung, die du und Isabelle in New York mieten wollt?«
»Ja?«, sagt er und wirft ein paar Socken in den Koffer.
»Wie stellst du es dir so vor? Im Detail, meine ich?«
Es ist nicht die Ansprache, die ich mir vorgestellt habe. Im Sinne von flüssig und wohl formuliert.
»Na ja«, sagt er, immer noch mit den Socken beschäftigt. »Groß, weißt du. Natürlich voll mit Issys Sachen. Die ganzen Tücher, die sie sammelt. Groß genug für dich …«
»Das habe ich nicht gemeint, Harry«, unterbreche ich ihn. »Ich meine, was ist mit deinen Sachen? … Wie stellst du es dir vor?«
Jetzt sieht er genervt auf. »Das ist Issys Ding. Sie hat einen tollen Geschmack. Was willst du mir sagen, Nonie?«
Sein scharfer Blick wird sanfter, als er sieht, wie unbehaglich ich mich fühle. Er merkt, wie schwer es mir fällt. Harry runzelt die Stirn.
»Mal im Ernst. Was meinst du wirklich?«
»Also«, sage ich. »Ich habe Isabelle in New York gesehen, und ich weiß, wenn ich sie dasselbe gefragt hätte, hätte sie mir im Detail antworten können. Weil sie sich alles vorstellt, die ganze Zeit, und sich darauf freut. Sie liebt dich so, Harry. Aber immer wenn ich dich frage, oder wenn Mum dich fragt, weichst du dem Thema aus. Und ich habe das Gefühl, dass du nicht viel drüber nachdenkst, oder? Du stellst dir euer gemeinsames Leben nicht vor.«
Ein Schweigen entsteht.
»Oder, Harry?«
Weiteres Schweigen. Es füllt das ganze Zimmer. Und es ist sehr ungewöhnlich, dass in Harrys Zimmer Schweigen herrscht, aber er braucht ein bisschen Zeit zum Nachdenken.
Erst sieht Harry wütend aus, dann ängstlich, und dann traurig. Er setzt sich neben mich, doch er sieht mich nicht an. Er spielt mit einem losen Faden am Knie seiner Jeans.
»Ich versuche es. Aber dann sehe ich immer nur mich selbst irgendwo an einem Strand. Allein. Abgehauen. Woher hast du das gewusst?«
»Weil ich dich lieb habe«, sage ich. »Weil ich deine Schwester bin. Weil ich weiß, wenn irgendwas nicht stimmt. Ich glaube, Krähe
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