Moderne Piraten
die Sie sich etwas einbilden können. Die Herren vom Erfurter Luftschifferverein wundern sich heute noch darüber, wie Sie allein mit dem Ballon fertig geworden sind. Nun, was sagen Sie dazu?«
»Daß Altmüller völlig verrückt ist, wenn er so etwas behauptet. Ich habe den Ballon »Greif« nie zu Gesicht bekommen.«
»Sie haben mich mißverstanden. Daß Sie mit dem Ballon weggeflogen sind, behauptet nicht Altmüller, das behaupten andere.«
»Was? Andere? Ich wäre neugierig, die kennenzulernen. Ist ja Unsinn, das zu behaupten.«
»Vielleicht werde ich Ihre Neugierde später befriedigen. Hören Sie den weiteren Tatbestand! Sie sind mit gutem Südostwind in drei Stunden von Gorla bis in die Nähe von Harburg gekommen. Dort sind Sie gelandet.«
Mit Gewalt suchte Henke den Schreck zu verbergen, der ihn bei dieser Mitteilung überkam. Mit gut gespielter Gleichgültigkeit antwortete er: »Ist ja eine interessante Geschichte. Wenn da wirklich einer gelandet wäre, dann müßte der Ballon doch auch gefunden worden sein.«
»Nein, Henke, der Ballon ist wieder in die Höhe gegangen und vom Wind in die Nordsee abgetrieben worden.«
»So so! In die Nordsee? Die Sache wird ja immer schöner. Da ist der Ballon natürlich irgendwo versackt, und nachher wird mir die Sache in die Schuhe geschoben.«
»Der Ballon ist nicht versackt, Henke.«
Auf einen Wink des Richters nahm der Justizwachtmeister ein Tuch fort, das im Hintergrund des Zimmers über einen tischähnlichen Gegenstand gebreitet war.
»Drehen Sie sich einmal um, Henke! Sehen Sie sich das da mal an!«
Henke tat es und fühlte, wie er erblaßte. Da stand der Korb des »Greif« dicht vor ihm.
»Nun, Henke, wollen Sie sich immer noch nicht zu einem Geständnis bequemen?«
Dieser hatte sich inzwischen zu der alten Frechheit durchgerungen. »Ich weiß nicht, was ich gestehen soll. Ist ja sehr schön, daß der Korb wieder da ist. Die Erfurter werden sich darüber freuen. Mir kann’s gleich sein. Mich geht’s nichts an.«
»Sie sind ja Fachmann auf dem Gebiet, Henke. Sehen Sie mal die Korbleinen an! Der Korb ist über der Nordsee vom Netzring abgeknebelt worden. Also muß noch eine zweite Person in dem Korb gewesen sein.«
»Kann sein. Ich weiß nichts davon.«
»Henke, in der Nacht vom zwanzigsten zum einundzwanzigsten Mai ist auch ein gewisser Wagner aus dem Gorlaer Werk verschwunden. Davon wissen Sie wohl auch nichts?«
Henke schüttelte den Kopf.
»So, Henke? Dann haben Sie bei Ihrem schlechten Gedächtnis natürlich auch vergessen, daß Sie den jungen Menschen gefesselt und hilflos im Ballonkorb zurückgelassen haben?«
Henke griff nach seinem Taschentuch und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte das Gefühl, als ob er unrettbar einem Abgrund entgegentreibe. Schwer atmend sank er in seinem Stuhl zusammen. Im Wirbel jagten sich seine Gedanken. Wie war es möglich, daß der Richter um sein Verbrechen gegen Rudi wußte? Hatte man auch durch Zufall dessen Leichnam gefunden? Es konnte nicht sein, war unmöglich. Das Ganze war sicherlich nur ein Versuch des Richters, ihn zu überlisten. Mühsam raffte er sich zusammen, setzte an und stockte wieder, sprach endlich mit heiserer Stimme: »Ich kenne keinen, der Wagner hieß.«
Von Henke unbemerkt, hatte der Richter dem Wachtmeister einen Wink gegeben. Ganz plötzlich, unvermittelt, unvermutet stand Rudi vor Henke.
Mit einem Schrei brach dieser zusammen und preßte die Hände vor die Augen. »Mein Gott, mein Gott, werden die Toten wieder lebendig? Tot, ertrunken – weit draußen in der Nordsee …« Er war vornüber auf den Tisch gesunken und verbarg den Kopf zwischen den Armen. Auf eine Handbewegung des Richters ging Rudi leise aus dem Zimmer.
Minuten verstrichen, bis Henke wieder Fassung gewann. Stockend begann er. »Ist es noch da, das Gespenst? Ein Gespenst war’s doch, kein Lebender mehr!« Er hatte die letzten Worte herausgeschrien, blickte wild wie ein gehetztes Tier um sich.
Der Richter erkannte, daß der entscheidende psychologische Augenblick gekommen war. »Erleichtern Sie Ihr Herz, Henke! Ein offenes Geständnis kann Ihnen milde Richter schaffen.«
Henkes Verstocktheit war gebrochen. Zögernd zuerst, dann immer leichter und fließender begann er die Fragen des Richters zu beantworten. Glied an Glied fügten sich seine Aussagen zu einer wohlgeschlossenen Kette. Mit seiner Einführung in das Gorla-Werk durch Rasmussen begann sein Geständnis, mit seiner Flucht zu Rasmussen schloß
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