Moderne Piraten
»Meinetwegen, ja, wir können sie mitnehmen.« Er wandte sich dem Boot zu, nahm die Säcke, die Rudi ihm herausreichte, in Empfang und stellte sie neben sich auf den Steg. Eben half er Rudi beim Heraustreten, als er hinter sich Stimmen hörte. Er wandte sich um.
Zwei Zollbeamte waren auf den Steg gekommen und standen unmittelbar vor ihm. »Die Herren kommen von Genf?«
»Jawohl, meine Herren.«
»Haben Sie in Ihrem Gepäck etwas zu verzollen?«
Gransfeld schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte; nur unsern Mundvorrat, außerdem einige schon gebrauchte Kleidungsstücke.«
»Keinen Tabak? Keinen Alkohol? Nichts Zollpflichtiges?«
Gransfeld griff in die Brusttasche und holte seine Zigarettentasche hervor. »Vier Zigarren und sechs Zigaretten, das ist unser Tabakvorrat; der dürfte wohl zollfrei sein.«
»Ist zollfrei«, bestätigte einer der Beamten, und Gransfeld steckte die Tasche wieder ein.
Der andere Zöllner war inzwischen neben die Rucksäcke getreten. »Wollen die Herren ihr Gepäck öffnen!«
Rudi kniete nieder, knotete die Schnüre auf und öffnete die beiden Säcke. Soweit es sich überblicken ließ, enthielten sie nur ein paar Mäntel und Decken und mehrere Pakete, in denen Rudi seine Eßvorräte verpackt hatte.
Tagein, tagaus kamen Boote vom schweizerischen zum französischen Ufer des Sees; im allgemeinen wurde die Zollkontrolle der Touristen nur als Formsache behandelt und möglichst schnell abgetan. Auch jetzt war zu erwarten, daß die Zollbeamten sich mit einem kurzen »Eh bien!« zufrieden geben und abziehen würden. Doch es kam anders. »Packen Sie die Säcke aus!«
Rudi warf Gransfeld einen verstohlenen Blick zu und begann kopfschüttelnd den Inhalt der beiden Rucksäcke auf den Planken des Bootssteges auszubreiten. Pakete mit Wurst, Pakete mit Brot, mit Butter, mit Käse, Tüten mit Apfelsinen und Päckchen mit Schokolade, zum Schluß die Decken und Mäntel, die auf dem Grund der Säcke gelegen waren, kamen zum Vorschein.
Mit Argusaugen verfolgten die Zollbeamten jede Bewegung Rudis, bis die letzten Decken herauskamen und die Säcke leer waren. Einer der beiden Zollbeamten nahm sie Rudi aus der Hand und kehrte sie um und um, als suche er etwas, wo doch offensichtlich nichts zu finden war. Mit einem leichten Kopfschütteln gab er sie dem Jungen zurück und begann die Mäntel und Decken auseinander zu falten. Auch hier eine peinlich genaue Untersuchung. Jede Tasche wurde umgedreht, jedes Kleidungsstück befühlt, als ob irgendwo etwas eingenäht sein könnte. Auch hier war das Ergebnis der Untersuchung nicht zu beanstanden.
Gemächlich packte Rudi die Kleidungsstücke wieder in die Rucksäcke. Als er die Hand nach den Lebensmittelpaketen ausstreckte, um mit ihnen das gleiche zu tun, geboten die Zollbeamten halt. »Öffnen Sie diese Pakete, jedes einzeln!«
Rudi tat, wie ihm geheißen wurde. Jetzt reichte er das Brot hin. Einer der Zollbeamten zog ein Messer und zerschnitt es kreuz und quer in vier Teile.
»Das geht reichlich weit, meine Herren«, legte sich Gransfeld ins Mittel.
Der Beamte zuckte die Achseln. »Bedauere sehr, mein Herr, Dienstvorschrift. Wir tun nur unsere Pflicht.«
Verärgert hielt ihm Gransfeld die Butter und den Käse hin. »Bitte, bedienen Sie sich! Schneiden Sie weiter, wenn Ihre Pflicht es verlangt!«
Das entschlossene Auftreten des Doktors schien zu wirken. »Nicht mehr notwendig, Monsieur. Sie können diese Sachen wieder zusammenpacken.«
Während Rudi das tat, fragte der Beamte weiter: »Haben Sie sonst noch etwas Verzollbares im Boot?«
Gransfeld schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben überhaupt nichts mehr im Boot. Es ist leer. Wollen Sie sich, bitte, selbst überzeugen!«
Die Beamten schienen unschlüssig. Sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten eine Weile miteinander. Endlich sprach der eine: »Ich bedauere außerordentlich, mein Herr, doch unsere Pflicht, Sie verstehen – wir müssen auch das Boot untersuchen.«
»Bitte, meine Herren, tun Sie, was Sie nicht lassen können!«
Die Beamten sprangen in das Boot und fingen an, es Zoll für Zoll zu untersuchen. Sie krochen in das Kabelgatt im Vorderteil und steckten ihre Nasen in die Behälter unter den Segelbänken. Jede Planke und jedes Spant klopften sie ab, als ob es da verborgene Hohlräume geben könnte. Jetzt glaubten sie am Schwertkasten etwas entdeckt zu haben. Verdächtig hohl klang die Mahagoniverkleidung beim Klopfen. Wieder flüsterten sie zusammen und berieten sich.
Dann
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