Moderne Piraten
sagte nachher, es sei eine Muskelzerrung.«
»Gransfeld? Doktor Gransfeld?« Rasmussen stieß den Namen erregt hervor. »Ist das der Arzt im Hotel de Montagne?«
»Nein, Väterchen. Das muß ich dir ausführlich erzählen. Alice hatte mich mit Mühe und Not bis unter eine Schneewächte geschafft und war dann zum Hotel geeilt, um Hilfe zu holen. Da lag ich nun allein, und der Knöchel tat sehr weh. Mir war recht übel zumute, aber da kam ein Tourist auf Skiern heran, und das war eben Herr Doktor Gransfeld. Er kühlte den Knöchel mit Schnee, dann hat er mir auch eine Arznei gegeben, nach der mir gleich viel besser wurde. Das ist ein Arzt, Väterchen, wie er sein muß: so ruhig und freundlich und doch so bestimmt in seinen Anordnungen! Man ist schon wieder halb gesund, wenn er einen nur ansieht.«
Während Susanne erzählte, arbeitete Rasmussens Gehirn wie im Fieber. Gransfeld? Ein deutscher Arzt Doktor Gransfeld hier am Genfer See? Es konnte nur derselbe sein, um dessentwillen er selber hier war. Der war mit Susanne bekannt geworden und hatte ihr Hilfe geleistet? Ein böser Zufall, der Rasmussen das Schwere, zu dem die Organisation ihn zwang, noch schwerer empfinden ließ.
Susanne erzählte weiter: »Dann kam Alice mit den Trägern zurück. Herr Doktor Gransfeld half mich auf die Bahre legen und ging mit zum Hotel. Da hat er mir auch noch Hilfe geleistet und genaue Vorschriften gegeben, ehe er am nächsten Tage nach Genf … Väterchen, was ist dir? O Gott, wieder ein Anfall!«
Schon während der Erzählung Susannes hatte Rasmussen gefühlt, wie die Erregung ihm ans Herz griff, wie es wilder und immer wilder zu pochen begann, um dann plötzlich auszusetzen. Schwer atmend lag er im Stuhl. »Wasser, Susanne! Meine Tropfen!«
Sie nahm das Digitalisfläschchen aus seiner Tasche, schenkte frisches Wasser ein und gab ihm die Tropfen.
Das Digitalin, das Alkaloid des Fingerhutes, ein tödliches Gift in der Hand des Unkundigen, ein heilkräftiges Mittel in der des Arztes, tat seine Wirkung. Allmählich wurde Rasmussens Herzschlag stärker und regelmäßiger. Langsam erholte er sich.
Sorgenvoll blickte Susanne ihn an. »Liebes Väterchen, willst du mir einen Gefallen tun, einen ganz großen Gefallen?«
Rasmussen nickte. »Gern, mein liebes Kind, wenn dein Wunsch erfüllbar ist.«
»Er ist erfüllbar, Väterchen. Du sollst mit mir nach Paris fahren.«
Rasmussen blickte sie erstaunt an. »Nach Paris, Susanne? Was willst du in Paris?«
»Ich? Gar nichts, Väterchen. Aber du, du sollst dort zu Professor Morelle gehen. Er ist Facharzt für Herzleiden und besitzt Weltruf. Tausenden hat er geholfen. Schon lange hatte ich mir vorgenommen, dich darum zu bitten.«
»Aber nach Paris, Kind? Wir haben doch in Hamburg auch gute Ärzte.«
»Mag sein, Väterchen; doch bis jetzt haben sie dir nicht helfen können, und, offen herausgesagt, ich habe das Vertrauen zu ihnen verloren. Tu mir den Gefallen! Versprich mir, daß du mit mir nach Paris fährst! Von hier ist’s ja gar nicht so weit. Und denke doch, Väterchen, wie schön das wäre, wenn Professor Morelle dir helfen könnte, wenn du wieder ganz gesund würdest!«
Als Rasmussen sich an diesem Abend im Hotel de Montagne zur Ruhe begab, hatte Susanne ihm das Versprechen abgerungen. Er hatte eingewilligt, mit ihr zusammen nach Paris zu fahren, sobald seine Genfer Geschäfte erledigt seien.
5 Auf dem Genfer See
Gransfeld saß im »Hotel du Lac« beim Frühstück. Schneeweißes, lockeres Brot, dazu die gute Schweizer Butter – hier läßt sich’s wirklich leben, dachte er eben, als Rudi hereinkam. »Morgen, Rudi! Du siehst ja mächtig unternehmungslustig aus. Was hast du denn ausgeheckt?«
Rudi schmunzelte über das ganze Gesicht. »Herr Doktor, Sie sagten doch neulich, daß wir eine Segeltour machen wollten.«
»Stimmt, Rudi. Aber die Leute waren mir denn doch zu unverschämt. Für die Miete, die sie forderten, hätte man das Boot ja beinahe kaufen können.«
»Ja. Herr Doktor, aber jetzt habe ich einen entdeckt, der ist billig.«
»So? Was verlangt er denn für den Tag?«
»Bloß fünfundzwanzig Franken, Herr Doktor.«
»Fünfundzwanzig Franken? Na höre mal, Rudi, das wird wohl ein ziemlich trauriger Kahn sein!«
»Nein, Herr Doktor, eben nicht. Es ist ein schönes, großes Schwertboot. Es scheint noch fast neu zu sein.«
»Hm, Rudi, wenn das alles stimmt, dann könnte man ja der Sache nähertreten! Wer ist denn der Besitzer?«
»Ein gewisser Monsieur Bouton, kein
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