Moderne Piraten
Säcke geleert, jede Decke, jedes Kleidungsstück ausgeschüttelt, und dabei waren noch drei andere Beutel über Bord geflogen. Während Rudi die Rucksäcke wieder einpackte, hielt Gransfeld das Boot dicht am Wind, daß es kaum noch Fahrt machte.
Er zweifelte keinen Augenblick, daß er es hier mit einem Anschlag der Bande zu tun hatte. Alle Achtung! An Gerissenheit ließ das Plänchen nichts zu wünschen übrig. Man hatte ihm Rauschgift ins Gepäck geschmuggelt und ihn auf diese Weise den französischen Behörden in die Hände spielen wollen. Nur durch einen glücklichen Zufall hatte er das entdeckt. Hätte die Bande ihm das Zeug nicht gerade in sein Gepäck, sondern irgendwo im Boot versteckt, so … Ein neuer Verdacht kam ihm. »Rudi!« schrie er den Jungen an, der eben mit dem Packen der Rucksäcke fertig geworden war. »Rudi, wahrscheinlich ist noch mehr von dem Zeug im Boot versteckt. Wir müssen es sogleich ganz genau untersuchen.«
Dann hatten sie es durchsucht; mit einer Gründlichkeit, die derjenigen der Zollbeamten in Yvoire in nichts nachstand, waren sie in jeden Kasten und in jeden Winkel gekrochen. Während Rudi die »Céleste« dicht am Wind auf der Stelle halten mußte, hatte Gransfeld selbst jeden Quadratfuß abgeklopft und dabei auch die Geheimräume am Schwertkasten entdeckt.
Einige zwanzig Pfund der verschiedensten Narkotika waren dabei zum Vorschein gekommen und kurzerhand in den See geflogen. Die Herren Morton und Kompanie hatten sich ihren Anschlag etwas kosten lassen. Eine gute Stunde hatte die Suche gedauert, während die »Céleste« fast auf der Stelle trieb. Dann hatte sich Gransfeld wieder an das Steuer gesetzt.
Schwere Zweifel quälten ihn. Sollte er lieber sofort an das schweizerische Ufer zurückkehren oder sollte er die Tour so durchführen, wie sie geplant war? Einen zwingenden Grund für die Umkehr gab es eigentlich kaum noch. Von der gefährlichen Schmuggelware hatten sie die »Céleste« ja gründlich gereinigt.
Gransfeld versuchte sich ganz in den Plan der Gegner hineinzudenken. Schmuggelware, nur in den Hohlräumen des Bootes – die Insassen hätten behaupten können, daß sie nichts davon wüßten, das Boot, so wie es hier war, gemietet hätten. Auch ihr Gepäck mußte also »gesalzen« werden. Das war die Stärke und gleichzeitig auch die schwache Seite des Planes. Fanden die Zollbeamten Schmuggelware in den Rucksäcken, dann ging auch alles andere zu Gransfelds und Rudis Lasten, und sie waren hoffnungslos verloren. Aber die Möglichkeit bestand immerhin, daß sie diese Kuckuckseier entdeckten, und so weit war es nun in der Tat dank Rudis gutem Appetit auch gekommen.
Die Gefahr war restlos beseitigt. Aus dem Benehmen der Zollbeamten in Yvoire würde er ersehen können, ob seine Vermutungen stimmten. So hatte sich Gransfeld entschlossen, doch nach Yvoire zu fahren, und so hatte sich dort jene Szene abgespielt, die Morton zur Raserei brachte. —
Gransfelds Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Sonnenbestrahlt lag der See vor ihm, und mit gutem Wind lief die »Céleste« über den südwestlichen Kurs. Für den Augenblick glaubte er, kaum etwas von der Bande fürchten zu müssen, und bald, so hoffte er, würde er zugreifen und wenigstens einem Teil der üblen Gesellschaft das Handwerk legen können. Kam der Grieche jetzt endlich nach Genf, hatte er wirklich die gestohlene Statuette bei sich, dann würde er diesen als den ersten hinter Schloß und Riegel setzen lassen und danach weitergreifend Glied für Glied der langen Kette fassen bis hin zu jenen des Mordversuches Verdächtigen im Gorla-Werk.
Die »Céleste« befand sich auf der Höhe von Coppet, als ein Wetterumschlag einsetzte. Der Wind ließ nach. Das Gewölk über Lausanne war heraufgekommen und verdeckte die Sonne. Die Wellen, die eben noch Schaumkronen zeigten, rollten flach und träge.
»Dumme Geschichte, jetzt kommen wir doch noch in die Flaute, Rudi!« Während Gransfeld dies sagte, sah er sich prüfend nach allen Seiten um. »Wenn’s so weitergeht, können wir in einer halben Stunde Nebel und Regen haben.« Er bemühte sich, durch Auslassen der Schot so viel wie möglich von der schwachen Brise im Segel zu fangen, aber bald wollte auch das nichts mehr helfen. Der Wind schlief vollständig ein, die Ufer verschwammen in diesigem Dunst, und die ersten Tropfen begannen zu fallen. »Da haben wir den Salat! Die Regenmäntel her, Rudi, schnell! Oder wir werden auch noch naß bis auf die Haut.«
Er zog sich
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