Moderne Piraten
gefährliche Persönlichkeit, die mit allen Mitteln unschädlich zu machen war. So hatte auch er ihn sich vorgestellt, bis er ihn jetzt persönlich kennenlernte. Nun fand er einen liebenswürdigen jungen Mann, gebildet, taktvoll, hilfsbereit. So erschien er ihm jetzt und so – er hielt in seiner Wanderung inne und stützte sich mit beiden Händen auf eine Stuhllehne – ebenso erschien er auch unzweifelhaft seiner Tochter.
Rasmussen ließ den Stuhl los und strich sich mit den Händen über die Stirn. Unter andern Verhältnissen, wie natürlich, wie selbstverständlich wäre es da gewesen, daß der junge Arzt zu ihm ins Haus kam, daß vielleicht … Er preßte die Hände vor die Augen. Sollten die dunklen Bindungen, von denen er nicht freikommen konnte, schließlich auch dem Glück seines Kindes im Wege stehen? Nein, das durfte nicht geschehen. So oder so! Jede Rücksicht mußte jetzt aufhören. Um jeden Preis wollte er sich jetzt freimachen.
Rasmussen setzte sich und begann an Mac Andrew in Glasgow einen Brief zu schreiben, daß sein Gesundheitszustand ihn zwinge, sofort nach Paris zu fahren, um einen Facharzt zu befragen, daß er die Aufgabe hier in Genf deshalb andern überlassen müsse, daß sein Rücktritt vom »Geschäft« eine beschlossene Sache sei.
*
Im »Hotel des Etrangers« klopfte der Kellner an eine Zimmertür.
»Come in!«
Der Kellner trat ein.
»Es ist ein Herr da namens Bourton, der die Herrschaften dringend zu sprechen wünscht. Der Herr scheint etwas aufgeregt zu sein.«
»Ah, Monsieur Bouton?« Megastopoulos sagte es und warf Morton einen fragenden Blick zu. Dieser knurrte wie eine gereizte Dogge. Der Grieche wandte sich zu dem Kellner: »Führen Sie den Herrn hierher.«
Monsieur Bouton kam ins Zimmer und schloß sorgfältig die Tür hinter sich. Megastopoulos bot ihm einen Stuhl an, aber der kleine, quecksilbrige Franzose schien zum Stillsitzen zu aufgeregt zu sein. In endlosem Wortschwall begann er sofort über den Verlust seines schönen Bootes zu jammern. »Oh, ein schönes Boot, Messieurs, ein prachtvolles Boot! Viertausend Franken ist es zum mindesten wert. Parole d’honneur, Messieurs, viertausend Franken ist billig! Halb geschenkt ist es dafür.« Er hielt einen Augenblick inne und schaute die beiden fragend an.
Der Grieche zuckte die Achseln. Morton ließ ein dumpfes, gefährliches Knurren hören.
Als Monsieur Bouton ohne Antwort blieb, ging er unmittelbar auf sein Ziel los. Die Herren hätten ihm sein schönes Boot zerstört. »Détruit totalement.« Die Herren müßten es ihm ersetzen. Viertausend Franken koste es nur, das sei äußerst billig. Aber weil man sich kenne, weil man seit langem gut Freund sei …
Megastopoulos unterbrach ihn. »Wir sollen Ihr Boot zerstört haben, Monsieur Bouton? Wie kommen Sie zu dieser unerhörten Beschuldigung?«
Die kühle Ablehnung des Griechen brachte Monsieur Bouton erst recht in Harnisch. »Gewiß haben Sie’s zerstört! Natürlich haben Sie’s zerstört! Oh, ich weiß, was ich weiß! Mit dem ›Diomède‹, dem schweren Motorboot, haben sie meine schöne ›Céleste‹ zerbrochen. Wenn Sie mich nicht sofort genügend entschädigen, und zwar voll entschädigen, Messieurs, werde ich hingehen und Sie verklagen.«
Mit einem Sprung war Morton auf den Beinen, als das Wort »verklagen« fiel. Mit einem zweiten Sprung hatte er den Franzosen bei den Rockaufschlägen gepackt und schüttelte ihn hin und her wie ein Bund Flicken. »Du Hund! Verklagen willst du uns? Du – da – da!« Ein paar kräftige Boxerhiebe trafen Monsieur Bouton und schleuderten ihn auf den Teppich.
Vergebens bemühte sich der Grieche, seinen Kumpan zu beruhigen. Mit Gewalt brach bei diesem die Wut aus. Alles, was in den letzten vierundzwanzig Stunden an ihm genagt und gefressen hatte, der erste mißlungene Plan, der zweite ebenfalls erfolglose Versuch, alles das schaffte sich jetzt Luft. Mit ein paar Fußtritten brachte er den vor ihm Liegenden wieder auf die Beine. »Ich schlage dich tot, wenn du noch einmal …« Wieder ein paar kräftige Fußtritte dazwischen. »He, du, willst du uns noch verklagen?«
Der unglückliche Bouton versuchte sich hinter Megastopoulos zu flüchten; er wollte sich rechtfertigen. Aber da hatte ihn Morton schon wieder gepackt, und, außer sich vor Wut, schüttelte er ihn, daß der Rock in allen Nähten krachte. »Lumpenhund, willst du …?«
Als Monsieur Bouton die blutunterlaufenen Augen und das verzerrte Gesicht Mortons so dicht und
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