Moderne Piraten
sollte es am nächsten Tage losgehen. In vier Tagen wollten sie wieder zurück sein. In Frage und Antwort ging das Gespräch weiter. Der Hotelboy war aus der Gegend von Chamonix und konnte gute Auskunft geben. Trotzdem dauerte es geraume Zeit, bis Rudis Wissensdurst gestillt war. —
Eine halbe Stunde später war die Dimitriescu bei Megastopoulos und Morton im »Hotel des Etrangers«.
Der Grieche rieb sich die Hände. »Ausgezeichnet! Das Mer de glace ist eine hervorragend geeignete Gegend. Da sind Gletscherspalten, in die man …«
»Lassen Sie Ihre Finger davon!« unterbrach ihn Morton. »Alles, was Sie anfassen, mißglückt.«
Der Grieche versuchte zu widersprechen, doch der Schotte strich mit den Fäusten über den Tisch, als wollte er alle Einwände beiseite schieben. »Nonsense, Megastopoulos! Sie werden hier bleiben. Diesmal mache ich’s allein. Will mich hängen lassen, wenn ich die Burschen nicht zur Strecke bringe! Sie würden mir mehr hinderlich sein als nützlich. Basta!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
Der Grieche mußte sich dem überlegenen Willen seines Genossen beugen. Seinen Mienen konnte man es nicht ansehen, ob er es gern oder ungern tat. —
In der öden, langen Halle des Genfer Bahnhofes kämpften die elektrischen Lampen noch mit dem allmählich stärker werdenden Morgenlicht, als sich die ersten Reisenden für den Frühzug nach Cluses einfanden. Es waren nicht allzu viele, die in so früher Stunde auf die Reise gingen.
Von einer Nische her beobachtete Morton die Ankommenden. In der Hauptsache waren es Einheimische und nur wenige Touristen darunter.
Es blieben bloß noch fünf Minuten bis zum Abgang des Zuges. Ungeduldig trat Morton von einem Fuß auf den andern. Seine Faust umklammerte den schweren Bergstock. War das Ganze etwa eine bewußte Täuschung? Hatte dieser Doktor, der mit dem Satan im Bunde zu sein schien, sie wieder einmal zum Narren gehalten? Wenn die jetzt nicht kamen, wenn er unverrichteter Dinge zurückkehren mußte? Fast greifbar glaubte er das niederträchtige Grinsen zu sehen, mit dem Megastopoulos ihn empfangen würde.
Doch da kamen sie ja, der Doktor und der Junge, beide mit Rucksäcken, Seilen und Bergstöcken ausgerüstet, gut vorbereitet für eine größere Tour. Morton sah, wie sie in ein Abteil zweiter Klasse stiegen. Schon schickte sich der Stationsvorsteher an, das Abfahrtzeichen zu geben, als Morton schnell in ein anderes, einige Wagen davon entferntes Abteil sprang.
Ein Pfiff, ein Signalzeichen – der Zug verließ die Halle und rollte durch das Arvetal. Es war ein Personenzug, der keine der vielen Stationen und Haltestellen ausließ. Auf jeder von ihnen gab es ein Drängen und Hasten. Reisende verließen den Zug, andere, vielfach mit Kiepen und Körben beladen, stiegen dafür ein. Rasselnd setzte er sich wieder in Bewegung.
Gransfeld und Rudi hatten in dem nur schwach besetzten Zug ein Abteil für sich allein erwischt. Während der Doktor sein Gepäck ablegte, preßte Rudi die Nase gegen das Fenster. Als der Zug eben anfuhr, um den Genfer Bahnhof zu verlassen, drehte er sich jäh um. »Das war er, Herr Doktor!«
»Wer? – Wo? – Was?« Gransfeld sprang zum Fenster.
»Ist nicht mehr zu sehen. Er ist zwei Wagen vor uns eingestiegen.«
»Wer denn, in Teufels Namen, Junge?«
»Mister Morton, Herr Doktor. Ich habe ihn ganz deutlich gesehen. Im letzten Augenblick kam er hinter einer Säule hervor und sprang in den Zug.«
»Morton allein?«
»Ich habe niemand anders bemerkt. Aber wir sind ja selbst erst in der letzten Minute gekommen. Vielleicht sind die andern schon früher eingestiegen.«
»Hm, Rudi, das könnte sein. Es wäre immerhin möglich, daß mehrere Mitglieder der Bande im Zuge verteilt sind. Jedenfalls müssen wir so handeln, als ob sie da wären.«
Gransfeld stand auf und schnallte sich den Rucksack wieder an. Er bedeutete Rudi, das deiche zu tun.
Jetzt verlangsamte der Zug seine Fahrt, die Bremsen knirschten, er hielt. »Carouge!« riefen die Schaffner die Station aus.
Gransfeld öffnete die dem Bahnsteig abgewandte Wagentür. Da stand unmittelbar neben ihnen auf dem Nachbargleis ein Güterzug, ein Wagen mit offener Schiebetür gerade vor ihrem Abteil. »Rüber, Junge, schnell!«
Mit einem mächtigen Satz war Rudi in dem Güterwagen. Auf dem Trittbrett stehend, schlug Gransfeld die Abteiltür zu und sprang ihm nach. Er faßte ihn und zog ihn schleunigst von der Schiebetür fort in eine dunkle Wagenecke. »So, Rudi, das hat
Weitere Kostenlose Bücher