Moderne Piraten
eine reichlich unangenehme, feuchte Sache, Fräulein Rasmussen! Ich habe die Erfahrung machen müssen, daß man nicht nur in den Bergen, sondern auch auf dem Wasser zu Schaden kommen kann.«
»Auf dem Wasser«, wiederholte Rasmussen mechanisch. Hatte da schon die Organisation ihre Hand im Spiel? War da etwas versucht worden und mißlungen?
Gransfeld erzählte, wie sie im Nebel von einem Motorboot gerammt worden waren, wie sie stundenlang im Wasser trieben, bis ein Dampfboot sie zufällig entdeckte und aufnahm. Immer ernster war er geworden, während er sprach. »Wir sind zwar glücklich davongekommen, aber es ist doch dicht am Tode vorbeigegangen. Wenn uns das Dampfboot nicht in letzter Stunde gefunden hätte, wäre es aus mit uns gewesen. Unbegreiflich bleibt es mir, daß sich das Boot, das den Unfall verschuldete, so gar nicht um uns gekümmert hat.«
Susanne war seinen Worten in steigender Erregung gefolgt. »In der Tat, Herr Doktor, das ist unbegreiflich. Es wäre doch das mindeste gewesen, was die Schuldigen tun mußten. Haben Sie den Vorfall schon zur Anzeige gebracht?«
»Ich halte es für zwecklos, Fräulein Rasmussen. Wir haben ja nicht die geringsten Anhaltspunkte. Das Unglück war geschehen, und wir lagen im Wasser, bevor wir überhaupt etwas gesehen hatten.«
Ein Page kam in den Raum und trat zu Gransfeld. »Herr Doktor, es ist ein Herr draußen, ein Herr Bouton, der Sie wegen seines Bootes zu sprechen wünscht. Der Herr scheint sehr aufgeregt zu sein.«
»Bitten Sie Monsieur Bouton, einen Augenblick zu warten! Ich werde gleich kommen.« Er wandte sich an Susanne. »Jetzt kommt die Kehrseite der Medaille, gnädiges Fräulein, ›la douloureuse‹, wie man hierzulande die Rechnung nennt. Ich fürchte, der Besitzer des Bootes wird uns eine ziemlich beträchtliche Rechnung aufmachen, und schließlich kann man es ihm nicht einmal verdenken. Ich bitte die Herrschaften, mich zu entschuldigen.«
Er verabschiedete sich von Rasmussen, der zu der ganzen Unterhaltung kaum ein paar Worte beigesteuert hatte, und von Susanne, die der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen Ausdruck gab.
Ein merkwürdig zugeknöpfter Herr, dieser Rasmussen aus Hamburg, dachte Gransfeld, während er nach dem Schreibsaal ging, um mit Monsieur Bouton zu verhandeln. –
»Warst du schon lange mit dem Doktor zusammen, als ich kam?« fragte Rasmussen seine Tochter, sobald Gransfeld aus dem Saal war.
»Nur eine Viertelstunde, Väterchen. Er war ganz allein hier im Frühstückssaal; da ging es kaum anders, als daß ich mich zu ihm setzte. Wir sind ihm doch für seine Hilfe auch wirklich zu großem Dank verpflichtet.«
Rasmussens Miene wurde abweisend. »Gewiß, zweifellos, aber du hörtest ja selbst, wie er das Ganze als eine Selbstverständlichkeit abtat. Worüber habt ihr euch denn unterhalten?«
Susanne lachte. »Über tausenderlei, Väterchen. Der Doktor ist viel in der Welt herumgekommen und kann sehr interessant erzählen. Wir sprachen von seiner Seereise. Dann kam die Rede auf Hamburg, das er genau kennt. Ich habe ihn gebeten, uns zu besuchen, wenn ihn sein Weg einmal dorthin führt.«
Rasmussen zerknüllte nervös den Rand des Tischtuches. »Wie konntest du das tun, Susanne! Man lädt doch einen fremden Menschen nicht so ohne weiteres zu sich ins Haus.«
»Aber Väterchen, Doktor Gransfeld ist doch für uns kein fremder Mensch! Du weißt doch, wie er mir geholfen hat.«
Rasmussen schüttelte den Kopf. »Hilfe hin, Hilfe her. Das geht zu weit, mein Kind. Hoffentlich sieht der Mann das selber ein und verschont uns mit seinem Besuch. Umgangsformen und Takt scheint er ja zu besitzen; das habe ich aus der Art und Weise gesehen, wie er deinen etwas allzu überschwenglichen Dank ablehnte.«
Susanne war rot geworden! »Aber Väterchen, ich verstehe dich wirklich nicht! Er hat uns doch …«
Rasmussen fiel ihr unwillig ins Wort. »Was hat er denn schon Großes getan? Aus einem ziemlich harmlosen Unfall machst du eine romantische Geschichte, in der dieser Gransfeld schließlich die dankbare Rolle des Lebensretters spielt. Tu mir den Gefallen und ziehe endlich einen Strich darunter!«
Verstimmt ließ er Susanne zurück und ging auf sein Zimmer. Schon während er die Treppen hinaufstieg, taten ihm seine heftigen Worte leid, und mit neuer Gewalt kamen die quälenden Gedanken über ihn. Ruhelos wanderte er im Zimmer hin und her. Was für eine Art von Mensch war dieser Arzt? Nach den Berichten der Organisation eine verdächtige,
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