Moderne Piraten
oder gesehen zu haben glaubst! Konntest du zum Beispiel erkennen, wer das Boot steuerte?«
»Nein, Herr Doktor, das nicht. Der Mann am Steuer war nicht zu erkennen. Aber neben ihm habe ich im letzten Augenblick, als der Bug des Bootes schon in die Seitenwand der ›Céleste‹ rannte, einen andern Mann gesehen. Er hatte ein schmales, gelbes Gesicht mit einem dunkeln Spitzbart und schwarzen Augen. Hu, Herr Doktor, es waren eklige Augen, schwarz und brennend! Die habe ich ganz bestimmt gesehen und die werde ich auch so leicht nicht wieder vergessen können.«
Gransfeld fühlte sein Herz einen Augenblick schneller schlagen. Ein schmales, gelbes Gesicht, dunkle Augen und ein dunkler Spitzbart? Die Beschreibung konnte auf den Griechen passen, aber ebensogut auch auf viele andere. Die Leute hier waren fast ausnahmslos brünett, Angehörige einer dunkelhaarigen romanischen Rasse. Auch der spitze Kinnbart wurde noch von vielen getragen. Einen sicheren Anhalt vermochte ihm das, was Rudi gesehen haben wollte, nicht zu geben, aber es war geeignet, einen schon vorhandenen Verdacht zu nähren.
»Es ist gut, Rudi, wir wollen später noch einmal darüber sprechen. Wenn du schon gefrühstückt hast, kannst du die Kleider auf das Schiff zurückbringen.« Er nahm einen Matrosenanzug, der aus grobem blauen Loden gefertigt war, vom Stuhl und gab ihn Rudi. »Einen feinen Eindruck müssen wir in der Kluft gemacht haben, Junge! Wundert mich, daß uns der Pförtner damit ins Hotel gelassen hat. Na, wir wollen nicht undankbar sein; das Zeug hat uns gute Dienste geleistet. Vergiß nicht, dem Patron eine schöne Empfehlung von mir auszurichten und dich nochmals zu bedanken!«
Nachdem Rudi verschwunden war, vollendete Gransfeld seine Toilette und ging in den Frühstückssaal. Um diese späte Stunde war er der einzige Gast. Mit gutem Appetit machte er sich über seine Portion Spiegeleier auf Schinken her, als eine junge Dame in den Saal kam und an einem der Tische Platz nahm. Gransfeld blickte auf. Er erkannte sie und merkte, daß auch sie ihn wiedererkannte. So trat er an ihren Tisch, um sie zu begrüßen. »Gnädiges Fräulein, ich freue mich, Sie wohl und gesund wiederzusehen. Ist alles glücklich überstanden?«
Susanne Rasmussen reichte ihm die Hand. »Ja, Herr Doktor, ich bin wieder wohlauf. Alles allright, wie wir in Hamburg sagen. Ich konnte schon vor einigen Tagen aufstehen. Gestern morgen haben wir das Hotel de Montagne verlassen und sind hierher gekommen. Aber ich störe Sie offenbar bei Ihrem Frühstück, wie ich sehe.«
»O bitte sehr, durchaus nicht, gnädiges Fräulein!«
»Doch, Herr Doktor, Spiegeleier auf Schinken wollen warm gegessen werden. Wenn es Ihnen recht ist, nehme ich bei Ihnen Platz. Ich muß meinem Retter in der Not doch noch meinen Dank aussprechen. Auch mein Vater wird sich freuen, Sie kennenzulernen.«
Während Gransfeld sie zu seinem Tisch geleitete, sprach er weiter: »Sie müssen einem Langschläfer und sehr Erholungsbedürftigen das späte Frühstück zugute halten. Wir hatten gestern ein feuchtes Abenteuer, das um ein Haar schief abgelaufen wäre.«
»Oh, Herr Doktor, was ist das gewesen? – Aber dort kommt mein Vater. Gestatten Sie!« Sie eilte zu Rasmussen und brachte ihn an den Tisch. »Erlaube, Väterchen, daß ich dich mit Herrn Doktor Gransfeld bekannt mache. Es ist der Herr, der mir bei dem Skiunfall so liebenswürdig Hilfe leistete.«
Während Rasmussen Platz nahm, fühlte er, wie ihm die Kehle trocken wurde. Da saß er am gleichen Tisch zusammen mit dem Mann, auf dessen Spur die Organisation ihn gehetzt hatte, dessen Unschädlichmachung um jeden Preis ihm befohlen war. Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme Susannes. »Wir sind dem Herrn Doktor zu großem Dank verpflichtet, liebes Väterchen. Wer weiß, wie das mit meinem Fuß abgegangen wäre, wenn Herr Doktor Gransfeld nicht gleich gekühlt und alles Nötige veranlaßt hätte!«
Verlegen versuchte Gransfeld die Dankesworte abzuwehren. »Ich bitte Sie, gnädiges Fräulein, das war doch nur Menschenpflicht, in diesem Falle auch noch meine Pflicht als Arzt. Ich bin glücklich, daß meine Hilfe erfolgreich war.«
Rasmussen riß sich zusammen. Er sprach Worte, die seinen Dank ausdrücken sollten, ohne zu wissen, was er sagte. Er drückte Gransfelds Rechte, während seine Gedanken ganz anderswo weilten.
Susanne nahm die Unterhaltung wieder auf. »Sie sprachen von einem Abenteuer, als mein Vater kam. Was war das, Herr Doktor?«
»Oh,
Weitere Kostenlose Bücher