Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
McWhirter beruhigend.
«Endlich vom Gewand des Irdischen befreit. Nicht daß diese geistlichen Burschen irgendeinen Wirbel gemacht hätten, genaugenommen, aber –» Er schaute Grant von der Seite an und zwinkerte. «Na ja, sie begrüßten uns mit einer Art passiver Resistenz, und anscheinend war es das beste, daß wir ein winziges Beispielchen setzten.
Sozusagen einen von ihnen zum Sündenbock machen.»
Er runzelte ernst die Stirn. «Och, dafür gibt es Präzedenzfälle in der Bibel, Bürschchen. Biblische Präzedenzfälle.»
«Ihr habt – einen der Mönche umgebracht?» Grant war sich mit Abscheu bewußt, daß sein furchtsamer Ausdruck nur wenig gespielt war.
«Jawohl.» McWhirter spreizte die Hände in einer weiten, aufrichtig sein sollenden Geste. «Es war für beide Teile das einfachste. Bei weitem das einfachste.»
«Du bist ja verrückt!» sagte Grant heftig. «Ich will euren Chef sehen, wer immer das auch ist!»
«Sollst du, sollst du ja.» McWhirter nickte und erhob sich fröhlich. «Aber du mußt dich ein bißchen in Geduld fassen. Er muß sich ein paar Filmchen ansehen.
Carlos hier wird dir Gesellschaft leisten.» Er wies auf den stummen Mann mit der Pistole.
«Filme?!» Grant sprach wie einer, der an seinem eigenen Verstand zweifelt. Jahrelange Gewohnheit trieb ihn dazu, Aufschlüsse zu sammeln, selbst wenn er sie auch nie mehr würde berichten können. «Du meinst – Sex-Filme und so?»
McWhirter starrte ihn an. Der Humor schwand aus dem langgezogenen Gesicht. In seinen Augen stand eisige Verachtung.
«Du widerst mich an, Mensch», sagte er kalt und wandte sich ab.
«Na, egal, nur – schau dazu!» Grant ließ Streitsucht in seinen Tonfall einfließen. «Es ist mir egal, was dein Chef tut – ich will ihn einfach sprechen, verflucht noch einmal! Wer, bildet er sich ein, ist er schon?»
«Er heißt Gabriel», sagte McWhirter und ging hinaus.
Und in diesem Augenblick wußte Ivor Grant genau, daß er sterben mußte. Seine einzige Sorge war jetzt, als er auf der abgewetzten Holzliege kauerte, wie er sterben würde.
Zwanzig Minuten später tauchte McWhirter wieder auf, koboldhaft und witzig. Mit ihm kam der Dicke mit dem kurzgeschnittenen blonden Haar herein, der Mann, den Grant in der Klosterküche gesehen hatte. Er sprach ein schleppendes Englisch mit nördlichem Akzent.
«20 Uhr 30», sagte McWhirter und sah auf die Uhr.
«Zeit, daß alle braven Kinderchen im Bett sind, was? Los, Bürschchen, Borg wird dich ins Schlepptau nehmen. Bei Gabriel ist es wichtig, die richtige Zeit zu beachten. Den darf man nicht hetzen, aber man darf ihn auch nicht warten lassen.»
An Borg gefesselt, wurde Grant über steinerne Stufen hinaufgeführt, durch ein leeres Refektorium und einen breiten Gang entlang, in dem Heiligenstatuen aus Wandnischen herabblickten. McWhirter ging voraus, langbeinig und federnd, und redete ununterbrochen.
«Kennst du
The Yeomen of the Guard
, Grant-Bürschchen? Das Lied, das Fairfax singt –» Er verfiel in das tonlos vorgebrachte Bruchstück einer Melodie. «I-iist das Leben eine Wo-ohltat … Ah, es ist ein Stückchen logischer Philosophie. Ein Mensch kann sich nicht beklagen, wenn er im Juli stirbt, weil er Glück gehabt hat, daß er nicht schon im Juni gestorben ist, verstehst du? Aber andererseits –» McWhirter schritt an einem Mann mit einer automatischen Pistole vorbei, der auf einem tiefen Fensterbrett saß, drohte ihm sinnlos mit dem Zeigefinger und blinzelte ihn grinsend an.
Der Mann beachtete ihn nicht. «Andererseits», wiederholte McWhirter, «hast du in der zweiten Strophe genau das Gegenteil. ‹I-i-st das Leben eine Mü-ühsal?› Na ja, in diesem Fall kann sich ein Mensch nicht beklagen, wenn er jetzt gleich stirbt, wo er doch noch bis zum nächsten Morgen hätte leben müssen, nicht? Jetzt aber, um Gottes willen, still!» Die letzten Worte wurden in einem ganz anderen Ton gesprochen.
McWhirters Hand lag an einer eisenbeschlagenen Eichentür. Er öffnete sie leise zu einem großen, teppichbelegten Raum, trat auf Fußspitzen ein und winkte Borg, ihm mit Grant zu folgen. Sowie sie eingetreten waren, schloß er die Tür. Der Raum war finster bis auf das Flimmern eines Projektors, der einen Farbfilm auf eine an der Wand rechts angebrachte Leinwand warf. Als sich Grants Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er einen großen Schreibtisch quer zur gegenüberliegenden Ecke stehen, eine Wand voll Bücher und eine Anzahl frommer Bilder und Heiligenstatuen.
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