Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
möglichen.
Diesmal war das anders. Von dem Augenblick an, da er auf dem Schiff aus seiner Ohnmacht erwacht war, an die Schlafbank in der dunklen Kabine gefesselt, hatte er immer stärker das Gefühl gehabt, in Händen zu sein, die ein für allemal zupackten.
Dieses Gefühl hatte sich verstärkt, als sie ihn unter einem bewölkten, mondlosen Himmel an Land gebracht hatten, ihn die zwei Kilometer eines steinigen Pfades marschieren ließen, der die Gesamtlänge der schmalen Insel bis zum Fuß eines Felsabhangs dahinlief und über diesen zu dem Kloster hinaufführte. Die Männer waren Berufsverbrecher und ihrer selbst sehr sicher. Grant wußte, daß sie nur einem brutal tüchtigen Herrn dienen konnten. Sie gehörten verschiedenen Nationalitäten an und sprachen wenig, aber die allgemein benützte gemeinsame Sprache schien Englisch zu sein, das sie unterschiedlich gut sprachen.
Die Handfesseln an seinen Gelenken klirrten leise, als er sich bewegte. Die massive lange Bank, auf der er lag, war aus Eichenholz und stand an einer Wand des kleinen Raumes. Auf einem Stuhl an der offenen Tür saß ein dunkelhäutiger Mann in einem dunklen, kurzärmeligen Hemd und derber Drillichhose. Auf seinem Knie lag eine Pistole; teilnahmslos hielt er Wache.
Grant beurteilte Menschen nach ihren Augen; und diese Augen, uninteressiert, ohne jede Spannung, sagten ihm, daß er, wenn er auch nur eine plötzliche Bewegung machte, eine umsichtig gezielte Kugel hineingejagt bekäme – wahrscheinlich durch das Bein. Wohin genau, hing von den Befehlen ab, die dieser Mann hatte.
Grant beugte die Schenkel, um den Krampf in ihnen zu erleichtern, saß still und begann automatisch, die Tatsachen in seinem Kopf zu ordnen, wie für einen Bericht.
Eine Insel. Sehr klein. Irgendwo im Mittelmeer.
Drei Kilometer lang, von achthundert Meter Breite, die sich zu einer länglichen Spitze verjüngte; felsig, dürr, gesäumt von einem mit struppigem Gebüsch bewachsenen schmalen Streifen Strand. Am Westende der Insel ragte jedoch ein winziger, sechzig Meter hoher Berg empor, auf dem das große, steinerne Kloster hockte.
Zahl der Mönche im Kloster – ungewiß. Drei waren an der Arbeit gewesen, als er durch die große Küche hereingebracht worden war. Sie gehörten offenkundig einem Trappistenorden an, da sie sich mit Zeichensprache verständigten, und sie beachteten den blonden, klotzigen Mann nicht, der sie mit einer Maschinenpistole bewachte. Aber ihre Augen folgten Grant, bekümmert und wehmütig.
Er erinnerte sich, daß zumindest dreißig weitere Mönche im Gebet in der kleinen Kapelle knieten, als er oben durch die Galerie geführt und an deren Ende durch eine schwere Holztür geschoben wurde. In einem tiefer gelegenen Stockwerk war er an einer Reihe kahler Zellen vorbeigekommen. In einer von ihnen lag eine Leiche, in eine grobe Decke eingenäht.
Der Mann, der ihn verhört hatte, wurde McWhirter genannt. Er war ein Schotte mit hagerem Gesicht, ruckartigem Gang und dem Betragen eines gemieteten Clowns. Das Verhör war eine seltsame Sache gewesen, bei der McWhirter abwechselnd lachte, vertraulich wurde, zu überreden suchte.
Gewalt hatten sie nicht angewandt. Grant spielte den Erschreckten, Empörten und tischte seine Tarnstory auf. McWhirter kicherte entzückt. «Och, ich wollte, er sagte mir, daß ich dich weichkriegen soll, Grant-Bürschchen», strahlte er und rieb sich die trockenen Hände. «Wir hätten einen Heidenspaß miteinander, was?» Sein Lächeln lud Grant ein, sich der erfreulichen Spekulation anzuschließen.
«Wer – wer ist dieser Er?» murmelte Grant und versuchte den Eindruck eines entsetzten und verstörten Menschen zu geben, der sich an den Strohhalm eines Appells an eine höhere Instanz klammert.
«Ah! Und wer ist denn
dein
‹Er›?» entgegnete McWhirter mit einem kindisch johlenden Lachen.
«Ha?! Boulter, ja? Oder Dicky Spellman? Oder gar Tarrant? Ein seltenes Aufgebot an Abteilungen habt ihr da in London!»
Grant veränderte seinen Ausdruck ahnungsloser Großäugigkeit nicht, aber jeder dieser Namen traf ihn wie ein Keulenschlag. Er hatte für Boulter im Militärischen Nachrichtendienst gearbeitet, bevor er in Tarrants Abteilung kommandiert wurde. Und Spellmans Ernennung in die Marineaufklärung war das Allerneueste.
«Ich verstehe das alles nicht», sagte er mürrisch. «Was macht ihr überhaupt alle hier? Ich meine – Pistolen und so. Und in einer Zelle habe ich einen Toten gesehen!»
«Ein Mann Gottes», sagte
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