Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
vertrauen, daß er weder Fraser noch sonst jemandem etwas verraten würde. Er war seit fünf Jahren in Modestys Diensten und an sonderbare Vorkommnisse gewöhnt.
Modesty erhob sich, trat an das offene Fenster und sah in den Garten hinaus. «Wir beginnen unter denkbar schlechten Voraussetzungen. Die ganze Initiative liegt auf der Gegenseite. Diesmal können wir verlieren, Willie, ebenso Lucille und auch Tarrant.»
«Wenn es uns bestimmt ist», sagte Willie. Es war eine nüchterne Feststellung, ohne die Spur von Verzweiflung. «Bist du sicher, daß dies mit Tarrants Sache zusammenhängt? Könnte es nicht einfach ein Kidnapping sein?»
«Nein, es sieht nicht so aus. Da steckt mehr dahinter.»
«Du glaubst, daß sie es auf uns abgesehen haben?»
«Ja. Aber warum machen sie sich soviel Mühe? Sie könnten doch genug andere bekommen.» Er war an ihre Seite getreten.
«Bloß das käufliche Volk.» Sie nahm die Zigarette, die er für sie angezündet hatte. «Angenommen, Tarrants Vermutung stimmt, ein
Fait accompli
, Umsturz in Kuwait. Dazu brauchen sie Gurgelabschneider, dazu brauchen sie gigantische Unterstützung und Planung, dazu brauchen sie Ausrüstung, Beweglichkeit, Waffen.
Und wenn sie das alles haben, was glaubst du, würde ihnen dann die größten Sorgen machen, Willie? Du bist doch der Stratege.»
Willie nickte ernst. «Das ist ein klarer Fall, Prinzessin. Anführer brauchen sie. Nicht viele, aber die sind schwer zu bekommen.»
«Außerhalb einer regulären Armee nicht aufzutreiben, nicht wahr?»
«Auch nicht innerhalb. Neunzig Prozent sind Durchschnitt, aber für dieses Unternehmen genügt das nicht.»
«Und wir entsprechen?»
Er überlegte einen Augenblick, dann sagte er: «Für jemanden, der über uns genau Bescheid weiß – ja.»
«Wer dieses Unternehmen leitet, wird wohl imstande sein, sich gründliche Informationen zu verschaffen.»
Er blies den Rauch der Zigarette aus und sah auf das Schwimmbecken hinaus. Er vermied es, an Lucille zu denken; er war entschlossen, seine Phantasie im Zaum zu halten. Das war etwas, das er von Modesty gelernt hatte. Er wußte, es würde ihm schwerfallen, während der ersten Stunde. Hernach aber würde es leichter werden, wenn sich die geistigen Barrieren festigten und die Gedanken in andere Richtungen gelenkt wurden.
Es klopfte. Moulay trat ein. «Das Taxi, das Sie rufen ließen, ist da, Mademoiselle», sagte er.
«Danke, Moulay. Bringen Sie bitte das Gepäck hinaus.»
Als Moulay gegangen war, sagte sie: «Willie, ich sagte vorhin, wir könnten diesmal verlieren. Denk nicht mehr daran.»
«Einer muß immer verlieren, Prinzessin», erwiderte er langsam. «Vielleicht sind wir diesmal dran.»
«Nein, diesmal nicht, bei Gott.» Ihre Augen funkelten gefährlich. «Es wird ein harter Brocken, das spüre ich. Aber diesmal darf ich nicht verlieren.»
Willie starrte sie an. Er fühlte, wie ihn neue Kraft und Entschlossenheit durchströmte. Er warf seine Zigarette in weitem Bogen aus dem Fenster. «Du hast recht, Prinzessin», sagte er ruhig. «Dann laß uns losziehen und siegen.»
14
Die Motoren der Dove dröhnten in der dünnen Luft.
Eine weiße Felsenspitze ragte aus dem Kamm bis hundert Meter unter das Flugzeug herauf. Als die Maschine von dieser Felsenspitze abdrehte und jenseits des Kammes auf 3600 Meter herunterging, änderte sich der Ton.
Die Gipsy-Motoren gaben nun ein gleichmäßiges Brüllen von sich, während die Dove östlichen Kurs nahm und dem Verlauf der nächsten Gebirgskette folgte, die fünf Kilometer weiter nördlich lag. Modesty saß auf dem linken vorderen Passagiersitz, Willie auf dem rechten. Die Sitze unmittelbar hinter ihnen – Rücken an Rücken mit den ihren – waren leer. In der letzten Reihe, mit dem Gesicht nach vorne, saßen die beiden Wachen. Modesty trug eine enge schwarze Hose, eine schwarze Bluse und darüber einen dicken weißen Pullover. Willie war ähnlich bekleidet, nur trug er einen grauen Pullover.
Vor sechs Tagen hatten sie Tanger bei Nacht und Nebel in einem kleinen Motorboot verlassen. Bevor man sie am nächsten Tag in Casablanca auslud, hatten sie falsche Pässe, Flugzeugtickets und eine komplizierte Reiseroute ausgehändigt bekommen. Bei jeder Zwischenstation wurden sie von Kontaktleuten empfangen.
Keiner dieser Männer, die sie unauffällig weiterbeförderten, war ihnen bekannt, ebensowenig die Besatzung des Motorboots.
Vor vierundzwanzig Stunden waren sie in Kabul eingetroffen. Am nächsten Morgen wurden sie
Weitere Kostenlose Bücher