Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
lassen», sagte er mit leisem Widerwillen. «Sie sagen einem, was man zu tun hat, und halten es für ausgemacht, daß nur ein betrunkener Idiot das nicht fertigbringt. Und dann schafft man es eben irgendwie.»
«Ich bin nicht so sicher, daß sie das einfach voraussetzen», sagte Dinah langsam. «Sie scheinen zu wissen, wozu Sie imstande sind. Aber es ist mir sehr unangenehm – ich glaube, Sie wollten diese Reise nicht gern unternehmen.»
«Nein, wirklich nicht. Ich habe nur widerstrebend daran teilgenommen. Aber jetzt bin ich froh.» Collier meinte wirklich, was er da sagte. Er hatte einmal, und das vor noch gar nicht langer Zeit, die unaussprechliche Angst und das Entsetzen kennengelernt, die man verspürt, wenn man Männern ohne Skrupel und Mitgefühl ausgeliefert ist, Männern, die so durch und durch böse sind, daß sie einen Menschen so leichthin umbringen, wie jemand ein Insekt zertritt. Dinah Pilgrim hatte diese Angst kennengelernt. Als er sie zum erstenmal sah, hatte sich in ihm ein Sturm des Hasses gegen die Männer erhoben, die Barbarei und Gewalt in ihr Leben gebracht hatten – ein Haß, dessen Heftigkeit ihn selbst erschreckte.
«Haben Sie etwas Ähnliches mit Willie und Modesty schon früher einmal erlebt?» fragte sie.
«Gott sei Dank erst einmal. Und das auch nur zufällig.»
«Aber Sie kennen sie gut?»
«Ziemlich gut. Unter solchen Lebensbedingungen lernt man Menschen schnell kennen.»
«Ja, wirklich. Ich habe in den wenigen vergangenen Tagen Willie auch gut kennengelernt.» Sie zögerte.
«Ich meine – wirklich gut. Ohne Einschränkungen.»
Das Schweigen verriet ihr, daß Collier schockiert war.
Mit einem Lächeln fuhr sie eilig fort: «Oh, Sie müssen nicht entsetzt sein. Er hat nicht etwa ein blindes Mädchen verführt. Ich habe ihm fast den Arm brechen müssen.»
«Das ist neu bei Willie.» Colliers Stimme klang erleichtert und amüsiert.
«Es war auch für mich etwas ziemlich Neues.»
«Du liebe Zeit, ich wollte damit nicht sagen –»
«Ich weiß, daß Sie das nicht wollten. Lassen Sie’s gut sein. Sind Sie und Modesty eigentlich intim? Wenn Ihnen danach ist, sagen Sie einer unverblümten Kanadierin ruhig, sie soll den Mund halten.»
«Schon gut. Ja, wir sind intim. Wir haben miteinander, was sie scherzhaft ein loses Verhältnis nennt. Ich wünschte, es wäre etwas mehr.»
«Ist das nicht ein etwas sonderbares Gefühl? Ich meine … nun ja, ich meine, wenn man ein Mädchen hat, das besser mit der Pistole als mit Make-up umzugehen versteht?»
«Ich verstehe, was Sie meinen», erwiderte Collier freundlich. «Aber sie ist auch mit dem Make-up recht geschickt. Und sie verbringt nicht etwa ihre ganze Zeit nur damit, irgendwelchen Ganoven die Zähne einzuschlagen. Meist führt sie ein ganz normales Leben – nein, eigentlich kein normales Leben. Sie freut sich ihres Lebens, und wie viele Leute tun das schon? Aber sie genießt es wirklich. Wenn man mit ihr in einen Ballettabend geht oder die Portobello Road hinunterschlendert –»
«Was ist das?»
«Ein Markt für Antiquitäten und alten Plunder. Man kann auf dem Fluß eine Bootsfahrt machen oder in der Schmiede von Benildon sitzen, während eines von ihren Pferden beschlagen wird. Alles mögliche. Irgendwie hat das seinen besonderen Reiz, weil sie sich so daran freut.»
«Trotzdem … Sie kann Ihnen die Ohren wegschießen oder Sie über die Bettkante werfen, wenn sie will. Ist das nicht ein bißchen … deprimierend?»
«Nein», erwiderte Collier, und sie konnte erraten, daß er dabei lächelte. «Zuerst war es schon so, aber ich habe aufgehört, irgendwelche männliche Abneigung zu verspüren. Modesty hat mich da auf einen klaren Kurs gebracht. Sie ist auf einem bestimmten Gebiet Expertin, weil das etwas ist, das sie schon ihr ganzes Leben getan hat. Ich meine wirklich ihr ganzes Leben, und ohne eine andere Wahl am Anfang. An der ganzen Sache ist überhaupt nichts Besonderes. Wahrhaftig nicht.»
«Und denkt Willie genauso?»
«Ich denke, er ist der Meinung, daß niemand einen Grund hat, aufzustehen und Hurra zu schreien, nur weil er etwas davon versteht, wie man ein Messer wirft oder jemand das Genick bricht.»
«Mir war aber danach zumute, aufzustehen und Hurra zu schreien», sagte sie. Ihr Gesicht verzerrte sich plötzlich, und sie preßte die Handflächen einen Moment lang vor die Augen. «Tut mir leid.» Ihre Stimme klang zitterig und ein bißchen mutlos. «Könnten wir nicht die Polizeistation anrufen und fragen, ob
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