Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
heruntergezogen zu dem Heizkörper, an den sein Handgelenk gefesselt war. Seine rechte Hand, die die Bombe hielt, war bis zu einem Punkt ausgestreckt, der genau unter der Öse in der Decke lag. Wenn er den Arm nur um ein paar Zentimeter senkte, würde der Stift aus der Granate gezogen werden. Die dann folgende Explosion würde vielleicht die Tür bersten lassen und Rosita verletzen. Aber Willie Garvin würde mit Bestimmtheit verletzt werden. Vor der Tür schnitt Rosita den Draht kurz ab, wickelte ein zentimeterlanges Stück fest um eine kleine Schraube und schob diese dann verkantet ins Schlüsselloch, daß sie außer Sicht war. Sie nahm ihren Koffer auf und bewegte sich energischen Schrittes zur Tür der Suite, mit der schmallippigen Miene eines Menschen, der eigentlich einen gewissen Dank verdient hätte und ihn nicht bekommen hat.
Willie hörte im äußeren Raum den Lichtschalter klicken und die Tür zuklappen. Er starrte auf die Bombe in seiner ausgestreckten Hand und unterdrückte die flatternde Panik, die sich in ihm regte. Noch zehn Minuten. Dann würde Modesty eintreffen, und Reilly lauerte unten, um sie niederzumachen.
Nur ruhig … der Arm fing an steif zu werden. Ganz bewußt entspannte er seinen ganzen Körper und bewahrte in dem Arm gerade noch genügend Kraft, um die Bombe in beständiger Lage zu halten. Noch zehn Minuten. Nachdenken …
Wenn er die Bombe herumdrehen könnte, so daß der Draht sich um die zwei Zentimeter Kupferrohr wickelte, die aus der Büchse ragten … Nein. Es war nicht genug Spielraum dafür vorhanden. Unmöglich, mit diesem verklebten Mund zu schreien. Aber er konnte Lärm machen, ein unterdrücktes Knurren von sich geben, und dazu mit den Füßen stampfen. Und wenn dann jemand kam, würde man die Schlafzimmertür öffnen – das aber würde den Draht strammziehen und den Stift aus der Granate reißen. Sieben bis acht Zentimeter würden schon genügen.
Wenn er … Nein. Das würde nicht klappen. Was sonst? Scharf an der Bombe ziehen, den Draht zerreißen und die Bombe aus dem Fenster werfen, ehe sie explodieren konnte.
Bei einem Ein-Sekunden-Zünder? Und bei geschlossenem Fensterladen? Wunderbar. Ebensogut konnte man sich ‹Superman› als Helfer aus der Not bestellen.
Und … wenn Modesty an Reilly vorbeigelangte, war es wieder dasselbe. Sie würde die Suite erreichen, die Schlafzimmertür öffnen. Das würde das letzte sein, was sie in ihrem Leben tat.
Die Handschellen. Es gab keine Hoffnung, sie zu öffnen, aber …
Er hob vorsichtig den linken Fuß, stemmte ihn gegen den Heizkörper und begann ständig zu ziehen, während er sein Handgelenk in der metallenen Schlinge der Fessel verdrehte. Als zwei Minuten später sein Handgelenk glitschig von Blut war, gab er auf. Fleisch konnte nachgeben, Knochen nicht. Seine Hand war zu groß, um aus der Fessel zu schlüpfen.
Um Himmels willen! Sein rechter Arm war etwas herabgesunken. Der Draht war straff gespannt. Er hob die Bombe knapp drei Zentimeter an und unternahm dann eine neue, ständige Willensanstrengung, die zitternden Nerven seines Körpers und seines Verstandes zu entspannen.
Es mußte doch einen Weg geben. Er starrte auf die Bombe und konnte es nicht fassen, daß er sie in der Hand hielt und dennoch hilflos war. Jetzt begann der Arm auch zu schmerzen.
So. Laß dir irgend etwas einfallen, und wenn dir nichts einfällt, dann halte sie wenigstens davon ab, daß sie Modesty erwischen. Laß das Ding fallen. Der Raum fliegt in die Luft. Aufruhr und Verwirrung im Hotel.
Man ruft die Polizei. Aber die kann jetzt nicht mehr vor Modesty eintreffen. Und Reilly würde sich nicht aus der Ruhe bringen lassen; er hatte sich ja schon überlegt, ob Willie wohl so lange aushalten würde, bis Modesty kam. Reilly würde einfach in einer Ecke der Hotelhalle sitzen, seine Maschinenpistole unter dem Tisch halten und warten. Verwirrung würde Reilly nicht von seinem Vorhaben abhalten. Vielleicht kam er danach um so leichter davon.
Warm und klebrig rann ihm der Schweiß von der Stirn in die Augen. Willie Garvin hatte Angst.
Unten in der Hotelhalle war es sehr ruhig. Sie war menschenleer bis auf Reilly und den Nachtportier am Empfangsschalter. Der Nachtportier lag zu Reillys Füßen hinter dem langgestreckten Pult. Aus seinem Hinterkopf tropfte Blut. Reilly trug das Jackett des Mannes.
Es paßte ihm recht gut. Eine Zeitung war unordentlich vor ihm ausgebreitet, teilweise an ein kleines Schubladenschränkchen gestützt. Sie verdeckte die
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