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Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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stellte seinen unberührten Drink nieder und starrte Modesty an. Sie saß in der Ecke einer großen Couch und erwiderte seinen Blick ohne jede Verlegenheit. Das Schweigen dauerte an; Alex Hemmers geduldiger Blick war so konzentriert, als sei er in Trance gefallen. Einmal wollte Dall etwas sagen, doch Modesty bedeutete ihm mit einer Handbewegung, stillzubleiben.
    Endlich fragte Hemmer: «Marmor oder Bronze?» Er sprach ein gutes Englisch, langsam und sorgfältig.
    «Weder noch», erwiderte Dall bestimmt. «Holz. Ich weiß, daß Holz weniger hergibt, aber das kann man mit der richtigen Beleuchtung ausgleichen. Ich würde Mahagoni wählen – aber darüber kann man debattieren, nicht über das Holz. Es ist wärmer als Marmor oder Stein oder Bronze, und es ist lebendig.» Er blickte Modesty an. «Es paßt zu ihr.»
    Hemmer nickte bedächtig. «Danke. Hätten Sie Marmor oder Bronze vorgeschlagen, wäre ich weggegangen. Das Material muß mit dem Modell harmonieren. Holz ist warm und lebendig, wie Sie richtig bemerkten. Auch kann ein Bildhauer mit Holz mehr wagen. Es ist das einzige Material für eine Statue dieser Dame.»
    «Sie haben einen guten Instinkt», sagte Dall und lächelte. «Mahagoni?»
    «Ja. Die Farbe wird besser mit der Zeit. Aber es muß unpoliert sein.»
    «Gut. Wann können Sie anfangen?»
    Hemmer bestand darauf, in seiner eigenen Werkstatt zu arbeiten, und das vordringlichste Problem war, den richtigen Holzblock zu finden. Es durfte kein junges Holz sein; es mußte künstlich getrocknet oder – besser noch – gut abgelegen sein.
    Das konnte Dall arrangieren. Er besaß eine Anzahl Mühlen und zweihunderttausend Morgen Wald, einschließlich Wäldern in Zentralamerika, wo Mahagonibäume gefällt wurden. Also flogen Dall und Hemmer in die Waldgebiete.
    Modesty kehrte nach Hause zurück. Ein paar Wochen später erhielt sie ein höfliches Telegramm von Hemmer aus Finnland, in dem er ihr mitteilte, daß der ausgesuchte Holzblock angekommen sei und er bereit wäre, zu beginnen.
    Während der ersten Woche wohnte sie in einem kleinen Hotel nahe von Tepasto. Täglich fuhr sie mit ihrem gemieteten Volvo 144 S zwanzig Kilometer weit in die Föhrenwälder, wo Hemmers einsames Haus stand. Das Tonmodell begann er mit ruhigem Eifer, doch nach drei Tagen fühlte sie, daß er der Verzweiflung nahe war. Er gebärdete sich keineswegs theatralisch. Er begann Lehmbrocken von dem Drahtgerüst zu lösen, auf dem er gearbeitet hatte, und sagte: «Es tut mir sehr leid. Ich glaube, ich bin nicht imstande, das zu schaffen. Es will mir nicht richtig gelingen.»
    Sie selbst hatte wenig schöpferisches Talent, doch ein gutes Einfühlungsvermögen, und so konnte sie nachempfinden, wie furchtbar es für einen Künstler ist, ohnmächtig vor seinem Material zu stehen. Sie bat ihn, mit der Arbeit aufzuhören, zog sich an, kochte Kaffee und bereitete eine Mahlzeit.
    Die folgenden drei Tage ließ sie nicht arbeiten. Sie plauderten, unternahmen lange Spaziergänge in den Wald und sägten mit einer Schrotsäge Baumstämme für den Kamin. Wenn die Dämmerung einbrach, spielten sie Pikett, bis es für sie an der Zeit war, zu gehen. Sie mußte ihm das Spiel zeigen, und obwohl er wenig Sinn für Karten hatte und ein schlechter Spieler war, schien es ihm Spaß zu machen.
    Durch einen glücklichen Zufall lief das Telefonkabel zwischen Muoinio und Ivalo nahe am Haus vorbei, und daher gab es darin ein Telefon. Sie hatte es niemals läuten hören, und Hemmer benutzte es, soviel sie wußte, bloß, um Vorräte zu bestellen, doch er rief jedesmal eine Stunde nach ihrer Abfahrt im Hotel an, um sich zu vergewissern, daß sie gut angekommen war.
    Während dieser Zeit lernte sie ihn gut kennen und fand ihn liebenswert. Zu ihrem Erstaunen erfuhr sie, daß er kein Finne war, sondern ein Ungar. Als junger Mann hatte er an der mißglückten Revolution von 1956 teilgenommen und so Furchtbares erlebt, daß alle seine romantischen Jugendideale zerstört worden waren. Das Mädchen, mit dem er verlobt war, wurde von einem Panzer zermalmt, und in den letzten Stunden des Kampfes war er über die österreichische Grenze geflüchtet.
    Er hatte sich in Finnland niedergelassen, zum Teil wegen der seltsamen Ähnlichkeit der Sprachen, vor allem aber, weil es ein fernes, ruhiges Land war. Alex Hemmer war ausgesprungen. Niemals mehr würde er sich am Zusammenstoß von Nationen beteiligen oder von Ideologien oder auch Persönlichkeiten. Er tat die Arbeit, die er liebte und gut

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