Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
Verwirrung.
Sie hatte kaum den Kopf gedreht und die Männer erblickt, als Hemmer einen wütenden Fluch ausstieß.
«Bleib still!» schrie er. «Mein Gott! Wochenlang sitzt du still, und ausgerechnet in diesem Moment mußt du dich bewegen. In
diesem
Moment!» Er warf den Meißel zu Boden und preßte die Hände vor die Augen, als wollte er eine Vision festhalten.
Mit leiser, zorniger Stimme sagte Modesty: «Hinaus, ihr Idioten! Seht, was ihr angerichtet habt!»
«Aber … unser Freund», beharrte der Sprecher hartnäckig.
«Glauben Sie, Herr Hemmer lädt heute abend verirrte Fremde in sein Haus ein?» sagte sie mit abgründiger Verachtung. «
Hinaus
!»
Sie drehte den Kopf wieder in die gewohnte Stellung. Gestammelte Entschuldigungen und das Scharren von Füßen. Die Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Sie hörte das Geräusch des anspringenden Motors und dann das schwächer werdende Brummen, als der Wagen sich entfernte.
Hemmer nahm die Hände von den Augen und atmete tief ein. «Rühr dich nicht wieder!» sagte er flehentlich. «Was zum Teufel ist in dich gefahren? Jetzt bleib so. Bleib so!» Er griff nach dem Meißel.
Sprachlos versuchte sie, nicht ihre Augen vor Erstaunen aufzureißen, und bemühte sich, eine unbändige Lust zu lachen niederzukämpfen. Modesty Blaise sagte wie im Traum zu sich selbst: «Mein Gott …!» Und blieb unbeweglich sitzen.
Eine halbe Stunde später legte Hemmer seinen Kreuzmeißel weg, trat von der Werkbank zurück und lockerte seine verkrampften Finger. «Ich hab dich», sagte er ruhig, aber triumphierend. «Nicht fertig. Kaum angedeutet. Aber es ist da, Modesty. Ich kann es da im Holz sehen.»
«Das freut mich für dich.» Sie glitt vom Tisch und legte den Mantel um. Er rieb seine Augen, doch plötzlich riß er die Hände weg und starrte zuerst auf die Schlafzimmertür, dann auf Modesty. «Dieser Mann!», rief er aus.
«Ja.» Sie knüpfte den Gürtel. «Ich glaube, du bemerktest wenig von seinen Freunden, die nach ihm suchten. Es war nicht die Polizei. Und sie waren gar nicht nette Leute.»
Er ließ sich in den schweren Teaksessel fallen und machte eine vage Geste zu der Statue hin. «Ich fand auf einmal, was ich wollte …»
Sie lächelte. «Das habe ich vermutet. Und es machte dich unerhört überzeugend.»
Er schöpfte tief Atem, runzelte die Stirn und kramte in seinem Gedächtnis. «Ja. Jetzt erinnere ich mich. Aber angenommen, sie hätten das Haus durchsucht? Angenommen, der Mann hätte im Schlaf gerufen?»
Sie nahm eine kleine Automatic aus der Tasche ihres Mantels, zog das Magazin heraus und betätigte den Schlitten, um die Patrone aus der Patronenkammer zu entfernen.
«Dann hätte es Streit gegeben, Alex. Vielleicht hätten wir sogar deine intensive Konzentration gestört.»
«Eine Waffe», sagte er mit müdem Abscheu. «Ich hasse Waffen.»
«Waffen sind neutral. Es wäre logischer, mich zu hassen.» Sie blickte auf die große Standuhr auf dem Kaminsims. «Zeit zum Essen. Stört es dich, wenn ich vorher telefoniere? Ich möchte wissen, ob Willie Garvin im Hotel ist.»
Er preßte seine schweren Hände zwischen den Knien zusammen und sagte langsam: «Ich will nicht weiter hineingezogen werden, Modesty.»
«Ich weiß.»
Er stand auf. «Ich werde das Essen herzurichten beginnen, während du deinen Anruf erledigst.» Er ging in die Küche und schloß die Tür.
Zehn Minuten später folgte sie ihm. Er sah, daß sie jetzt angezogen war, in einem Hemd und dunklen Slacks mit halbhohen Lederstiefeln. Sie sagte: «Danke, Alex. Ich kam durch. Willie ist heute morgen eingetroffen. Und unser Gast schläft immer noch. Ich setzte ihn auf und flößte ihm ein wenig Brandy ein. Er sagte ‹Danke› und schlief weiter, ohne auch nur die Augen zu öffnen. Später muß ich ihn aufwecken. Ich will wissen, worum es hier geht.»
Hemmer sah auf die Automatic, die jetzt in einem kleinen Halfter an ihrem Gürtel steckte. «Warum trägst du das?» fragte er.
«Diese Männer können zurückkommen. Noch haben wir sie überzeugt, aber sie könnten es sich anders überlegen. Ich gehe lieber auf Nummer Sicher.»
Das Mahl verlief schweigsam. Hemmer brütete ein wenig trotzig vor sich hin. Modesty war nicht unfreundlich, schien jedoch mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Als sie den Tisch abgeräumt hatten, trug sie einen großen Krug heißes Wasser in das Schlafzimmer.
Der Mann im Bett war jetzt aufgetaut; Gesicht und Hände hatten wieder Farbe bekommen.
Hemmer sah zu, wie
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