Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Leuten meint heutzutage, daß jeder, der etwas Niederträchtiges tut, geisteskrank sein muß. Aber Sie sind nicht geisteskrank, Engelchen. Sie wissen, was Sie tun, und Sie tun es, weil es Sie freut und es sich lohnt.» Ihre Augen wanderten zum anderen Tischende. «Auch keine Entschuldigung für unseren Euro-Australier mit dem Blut, das niemals vergißt. Ihr einziges Problem ist, daß Sie von einem ohnmächtigen Haß erfüllt sind und Geld genug haben, diesen Haß zu pflegen. Das geht so weit, daß Sie Menschen entführen, um Ihrem Ego zu schmeicheln, und sie dann umbringen, weil diese Leute lästig sind.»
Sam Solon blinzelte wie eine Eidechse und wetzte in seinem Stuhl, aber er sagte nichts. Modesty fuhr fort:
«Clarissa ist Beauregard Browne verfallen, ich bin nicht ganz sicher, warum, aber vermutlich ist es eine Lehrer-Schülerin-Bindung. Er führte sie in seine bizarren Vergnügen ein, und nun ist sie süchtig.» Fragend blickte sie auf den Chinesen. «Das war nicht sehr wissenschaftlich, fürchte ich. Ich bin überzeugt, daß Sie für jeden eine gute psychiatrische Entschuldigung wissen, aber mir gefällt meine Auslegung besser. Und was Sie selbst betrifft, so würde ich meinen, daß Sie zu jenen Experten gehören, die mit Vergnügen das Gehirn eines Menschen durch einen Fleischwolf drehen würden, um die Wirkung zu studieren – vorausgesetzt, daß es gut bezahlt wird.»
Wieder wandte sie sich an Beauregard Browne. «Sie sagten gestern, daß wir darauf aus seien, gerecht zu bestrafen. Natürlich mokierten Sie sich über uns, aber Sie hatten auch unrecht. Wir haben Sie nicht gesucht, um zu strafen. Diese Art von Überheblichkeit liegt uns nicht. Menschen wie Sie zu bestrafen, so wie sie es verdienen, dazu sind wir nicht hart genug.» Sie blickte langsam um den Tisch. «Wir sind gekommen, um euch zu töten, das ist alles.»
Mit einer lässigen Bewegung stand sie auf und nickte Reverend Uriah Crisp zu. «Wenn Sie beschlossen haben, daß er der erste sein soll, dann fangen wir an.»
Bei ihrer ersten Bewegung hatte der Priester seinen Revolver in der Hand, und hinter ihr hörte man Lärm, als Condori und der Wächter zu ihm traten. Niemand sprach. Die Unverfrorenheit von Modestys Worten wirkte zutiefst bestürzend, um so mehr als es unwahrscheinlich schien, daß ihre Zuversicht nur gespielt war.
Völlig entspannt stand sie da, und doch umgab sie eine beinahe greifbare Aura von Macht.
Plötzlich brach Beauregard Browne in ein schrilles, verwundertes Gelächter aus. «Wie man Freunde gewinnt und Menschen beeinflußt! Ich fürchte, Sie haben sich da in etwas sehr Unangenehmes eingelassen, ist es nicht so, Uriah? Ich meine, hab ich nicht recht?»
Das abgezehrte Gesicht über dem Kollar war kalkweiß vor Wut, und die rotgeränderten Augen blitzten.
«
Hure
!» keuchte Reverend Uriah Crisp in schrecklichem Flüsterton. «
Ich werde über dich Gericht halten! Und es wird langsam sein, wie die Mühlen Gottes
!»
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Modesty stand in der Mitte des Richtplatzes, an ihrer Hüfte hing ein leeres Halfter. Hinter ihr lag die schmale Straße, die zum Hafen führte. Der Pfad war zu ihrer Rechten von einem Grasstreifen begrenzt; dort stand Willie Garvin mit gefesselten Händen neben vier Wächtern. Hinter dem Grasstreifen lag die Aushebung für den Garten, den Beauregard Browne dort plante.
Vor ihr stieg der grüne Hügel zuerst sanft und dann etwas steiler zum weißen Haus hin an. Auf dem langen Balkon standen vier Gestalten, eine von ihnen etwas entfernt von den anderen. Das mußte Solon sein. Sie sah das Aufblitzen der Sonne auf Glas unter goldblondem Haar; offensichtlich benutzte Beauregard Browne einen Feldstecher, um zuzuschauen.
Als sie den Kopf wandte, sah sie links hinter sich etwa vier Schritte entfernt Condori, dessen Hand auf dem Griff des Star PD an seiner Hüfte lag. Er beobachtete sie. Über seiner linken Schulter hing das schmale Lederetui mit den beiden Futteralen, die Willie Garvins Messer enthielten. Rechts hinter ihr am Straßenrand stand ein Motorrad mit einem Beiwagen. Auf einem Ende des Beiwagens saß ein Wächter, den Condori mit Regan angesprochen hatte. Sie wußte, daß es seine Aufgabe war, nach der Hinrichtung die Leichen wegzuschaffen.
Willies Wächter trugen alle Revolver, zwei hatten M-10’s umgehängt. Die Wächter stammten aus den verschiedensten Ländern und verständigten sich miteinander in einem gebrochenen Englisch. Die infame Absicht von Uriah Crisp hatte sich herumgesprochen,
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