Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
versuchte, die Tür aufzubrechen, durch die der Cowboy verschwunden war.
Der Geistliche wandte sich an einen der Zuschauer, und man unterrichtete ihn kurz von dem Vorfall. Sofort bahnte er sich einen Weg durch die Menge und kniete neben dem Polizisten nieder. Das Mädchen, das auf der anderen Seite kniete, sah seinen Kragen und sprach ein paar Worte Holländisch.
«Es tut mir leid, ich verstehe nicht», sagte der Mann auf englisch. «Kann ich behilflich sein?»
Das Mädchen sagte: «Er ist tot, Vater.» Sie biß sich auf die Lippen, und in ihre Augen traten Tränen. Sie deutete auf die Brust des Polizisten, wo sie über der Schußwunde den Rock geöffnet hatte. Am Hals des toten Mannes hing ein silbernes Kreuz. «Ich glaube, er war Katholik», sagte sie.
Reverend Uriah Crisp beugte das Haupt. «Wir haben denselben Hirten, obwohl wir verschiedenen Herden angehören», sagte er mit lauter, klangvoller Stimme. «Ich werde für seine Seele beten.»
Mit fest geschlossenen Augen, die großen Hände zum Gebet gefaltet, kniete er immer noch neben dem toten Mann, als die Polizei die Tür aufbrach und in das Haus stürmte. Es erwies sich als unbewohnt, wie die Nachbarsfrau gesagt hatte; die Möbel waren mit Tüchern verhüllt, da der Mieter für sechs Monate nach Djakarta verreist war. Die hintere Tür war nicht verschlossen. Auf dem Küchenboden lagen ein kariertes Hemd, Cowboystiefel und -hosen, ein Revolverhalfter, ein falscher Schnurrbart und ein Stetson mit einer an der Innenseite festgeklebten dunklen Haarsträhne. Von dem Revolver war nichts zu sehen.
Hundertfünfzig Meter vom Tatort entfernt trugen zwei Männer in Arbeitskleidung einen Stuhl durch das kleine private Bor-Museum, das die Sammlung orientalischer Möbel beherbergte, die Hendrik Bor im 19.
Jahrhundert erworben hatte. Über den geschnitzten rotlackierten Stuhl aus der Hsuan-te-Periode der MingDynastie hatten sie ein Tuch gebreitet. Es gab keine Besucher in dem Museum, das von zwölf bis zwei Uhr mittags geschlossen war. Ein Aufseher und zwei Gehilfen lagen betäubt und gefesselt in verschiedenen Teilen des Gebäudes.
Die zwei Männer trugen den Stuhl in den Museumshof. Dort wartete ein dritter Mann. Er öffnete die Tür eines braunen Lieferwagens und half, den Stuhl vorsichtig in den Laderaum zu heben. Die drei Männer stiegen ein, und einer von ihnen rief dem Fahrer etwas zu. Der Lieferwagen verließ den Hof. An der nächsten Straßenkreuzung sausten ein Polizist auf einem Motorrad und zwei Überfallkommandos mit lautem Sirenengeheul in die entgegengesetzte Richtung.
Mit einem Frühstückstablett auf den Knien saß Beauregard Browne im Hotel Okura Inter-Continental im Bett, blickte von der Zeitung auf und rief: «Herein.»
Clarissa de Courtney-Scott erschien in einem tiefausgeschnittenen Kleid aus Thaiseide.
Über die Schultern hatte sie einen Mantel geworfen.
Sie sah vergnügt aus, und ihre Augen strahlten.
«Ach, da bist du ja, Puppe.» Beauregard Browne legte den Telegraaf beiseite und lächelte sie beifällig an.
«Wo hast du die Nacht verbracht?»
«Mit zwei schrecklich netten holländischen Journalisten Beau. Das heißt, mit dem einen verbrachte ich den Abend, mit dem anderen die Nacht.»
«Gut. Was weißt du über Uriahs Bravourstück? Dieses holländische Zeug zu lesen kostet mich eine enorme Willensanstrengung.»
«Hugo erzählte, die Polizei habe gesagt, sie verfolge bestimmte Spuren. Das ist die offizielle Version, inoffiziell sagen sie, daß sie keine haben. Ich meine, Spuren.»
Sie legte den Mantel ab und setzte sich aufs Bett. «Wilhelm sagte später ungefähr das gleiche. Er rief sogar um drei Uhr morgens einen Freund bei der Polizei an, um zu sehen, ob es etwas Neues gäbe. Hat die Sache mit dem Stuhl geklappt?»
«Ich sah, wie er gestern abend zusammen mit den anderen Möbeln, die wir gekauft haben, in den Container verladen wurde. Er wurde sehr hübsch tapeziert, damit er zu dem riesigen Lehnsessel mit grünem Plüsch paßt.»
«Großartig. Jetzt müßte der Container bereits auf dem Schiff sein. Daß das Bor Museum einen Stuhl weniger besitzt, wurde in den Abendzeitungen kaum erwähnt, nicht?»
«Wie vorauszusehen, Cherie. Wenn ein Polizist erschossen wird, dann konzentriert sich die ganze Aufmerksamkeit darauf. Vor allem die der Polizisten, und ganz besonders, wenn der Mann von einem verrückten Cowboy erschossen wurde, der verschwunden ist. Es war ein hübsches Ablenkungsmanöver. Unsere Freunde hätten ganz offen
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