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Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen

Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen

Titel: Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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Er war an eine Trage geschnallt, die man an den Boden des Lieferwagens angeschraubt hatte. Um seinen Hals lag eine Drahtschlinge, die locker schien, bis er versuchte, den Kopf zu heben; da wurde sie eng wie eine Kaninchenfalle.
    Die Geschwindigkeit des Wagens veränderte sich nicht, und er nahm an, daß sie auf einer Autobahn oder auf einer Überlandstraße fuhren. Die nächsten zehn Minuten verwendete er auf den methodischen Versuch, seine Handgelenke freizubekommen. Weitere zehn Minuten war er bemüht, den Kopf aus der Drahtschlinge zu ziehen. Wenn ihm eines von beiden gelänge, hätte er eine Chance, mit den Füßen die Tür zu erreichen und sie aufzuschlagen. Nach einer Stunde war er schweißgebadet und immer noch festgebunden.
    Er atmete tief ein, entspannte sich und versuchte, ein möglichst gutes physisches und psychisches Gleichgewicht zu erlangen – was immer ihn erwarten mochte.
    Der Lieferwagen hatte vor einiger Zeit die Hauptstraße verlassen. Kingston hatte das Gefühl, daß sie durch eine kleine Stadt fuhren und dann durch zwei Dörfer.
    Jetzt waren sie auf einer kurvenreichen Straße, die bestimmt durchs Land führte.
    Er war daran gewöhnt, seine Furcht zu beherrschen, und im Augenblick hatte er keine besondere Angst, denn er hatte überlegt, daß, wer immer ihn geschnappt hatte, dies nicht getan hatte, um ihn zu töten. Wenn man ihn tot wollte, hätte man ihm ja bereits in dem Personenwagen eine letale Spritze verpassen können.
    Für die Absichten seiner Entführer hatte er zwei mögliche Motive gefunden. Das erste und wahrscheinlichste war, daß sie sein Interesse an Fletcher entmutigen wollten, wie sie es vor ein paar Tagen nahe Willies Landgasthaus mit Sam Solon getan hatten. Da sie ihn ziemlich weit weg an einen vermutlich einsamen Ort brachten, könnte ihn eine wesentlich härtere Behandlung erwarten als die, die Sam zuteil geworden war.
    Die zweite Möglichkeit war, daß man mit ihm Ähnliches vorhatte wie seinerzeit mit Fletcher, worin immer das bestehen mochte.
    Wenn dem so war, wäre seine vage Theorie im Eimer, die das Fletcher-Rätsel mit dem Verschwinden von Maria Cavalli, Jules Baillot und anderen Leuten der Kunstwelt im Laufe der letzten zwei Jahre in Zusammenhang brachte. Denn er gehörte nicht in diese Kategorie. Mit einem Anflug grimmigen Humors hoffte er, daß, sollte er sich in einem Schlauchboot am anderen Ende der Welt wiederfinden, eine Modesty Blaise dort sein würde, um ihn aufzunehmen.
    Der Lieferwagen fuhr jetzt auf einer holprigen Straße. Vielleicht war es ein Güterweg. Mit laufendem Motor blieb der Wagen stehen. Einen Moment später wurden die Türen geöffnet, und Sonnenlicht flutete herein. Jemand kletterte in das Wageninnere. Eine Hand entfernte die Drahtschlinge von seinem Hals. Die Trage wurde losgeschraubt, ins Freie gebracht und auf zerbröckeltem Makadam abgestellt. Die Türen des Lieferwagens wurden zugeschlagen und der Motor heulte auf, als der Wagen abfuhr.
    Kingston lag mit halb geschlossenen Augen da, bis er sich an das Sonnenlicht gewöhnt hatte. Ein breiter Betonstreifen dehnte sich vor ihm aus; aus den Rissen in der Oberfläche wucherte Gras und Unkraut. In der Perspektive wurde der Streifen schmaler und verlor sich irgendwo im Gestrüpp. Er drehte den Kopf und sah den verlassenen Hangar, die Nissenhütten, die verfallenen Bürobaracken, an denen noch einige Tafeln mit verblaßten Aufschriften zu sehen waren.
    Ein altes Rollfeld aus dem Krieg, leer und verlassen, außer vielleicht von den Gespenstern der Vergangenheit. Es gab in abgelegenen Teilen des Landes, besonders in East Anglia, noch ziemlich viele alte Flugplätze.
    Aufgebrochene Pisten, überwucherte Zufahrtstraßen, verfallene, zerstörte Gebäude.
    Hände beschäftigten sich mit seinen Knöcheln, und er spürte die Fesseln fallen, dann wurde der Riemen an seiner Brust gelöst. Er blickte in das strahlende Gesicht eines Cherubs mit blonden Locken und lang bewimperten veilchenblauen Augen; der erschreckend bösartige Humor in diesen Augen paßte allerdings nicht dazu.
    «Hoppauf», sagte der Mann und winkte mit seiner wohlmanikürten Hand. «Wir sind angekommen, Mr. Kingston.»
    Während der letzten zwanzig Minuten hatte Kingston sich darauf konzentriert, seine Muskeln zu lockern und die Steifheit seiner Glieder zu bekämpfen, aber jetzt drehte er sich langsam und unbeholfen um und stöhnte hörbar, als er sich auf den Beton kniete. Abgesehen von dem Mann und ihm selbst war das Rollfeld leer.

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