Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Menschen gewinnen. Laß die Verwerflichen sich in ihren eigenen Netzen fangen. Laß sie hinabsteigen in das brennende Meer der Hölle
…»
Kingston war als Junge ein Sprinter gewesen. Obwohl er hinkte, war er immer noch rasch und ein sportlicher Mann. Plötzlich rannte er zum Auto, den Blick auf den Wagen gerichtet. Zwei Sekunden später krachte Beauregard Brownes Revolver hinter ihm, und gleichzeitig hörte er das Einschlagen der Kugel in die hintere Wand des Hangars. Er hörte den Priester «Nein» rufen, und aus dem Augenwinkel sah er die schwarze dürre Gestalt vorwärtsschreiten.
Kingston schien auf die Motorhaube zuzulaufen, dann machte er eine abrupte Schwenkung, rannte um das Auto und erreichte keuchend die abgelegene Tür.
Er riß sie mit der Linken auf, während er den Colt diagonal durch das Dach auf den sich nähernden Priester gerichtet hatte, der immer noch Gebetbuch und Hut in den Händen hielt. Seine tiefliegenden Augen brannten vor Empörung, als er mit großen Schritten weitermarschierte. Fünf Meter, vier Meter … Kingston hatte den Zündschlüssel gedreht und den Motor gestartet. Den Blick auf den Priester gerichtet, konnte er Beauregard Browne nicht sehen, wußte jedoch, daß dieser sich auf seiner Seite dem Heck des Wagens näherte. Er hatte bloß einen Schuß. Wenn er ihn für den Priester verwendete, würde, während er in den Sitz glitt, der abscheuliche Browne hinter ihm auftauchen. Vielleicht besser, Browne zu erledigen, in der Hoffnung, den Priester niederfahren zu können.
Kingston richtete sich ein wenig auf und drehte den Kopf nach Beauregard Browne um. Es war die letzte bewußte Bewegung, die er in seinem Leben machte, denn im selben Augenblick ließ Reverend Uriah Crisp den Hut aus der rechten Hand fallen. Der Hut war noch nicht auf dem Boden, als Uriah Crisp eine .45 Kugel in Kingstons Kopf feuerte.
9
Modesty berührte den Druckknopf, und der Recorder begann sich zu drehen. Zuerst ertönte die weiche Stimme ihres indonesischen Hausdieners Weng, der sagte: «Guten Tag, wer spricht, bitte?»
Eine energische, etwas penetrante weibliche Stimme: «Ich möchte Modesty Blaise sprechen.»
«Miss Blaise ist im Augenblick nicht zu Hause. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen oder eine Telefonnummer?»
«Bitte eine Nachricht. Aber passen Sie auf, daß Sie sie genau verstehen. Sie ist unerhört wichtig.»
«Machen Sie sich keine Sorgen, Madame. Dieses Gespräch wird aufgezeichnet.»
«Ach, gut. Nun, ich möchte bloß sagen, es wäre sehr dumm von ihr, zur Polizei zu gehen. Wenn sie ihrem Protegé wirklich helfen will, muß sie warten, bis sie über Dick Kingston hört. Dann soll sie 493-8181 anrufen und verlangen, daß Mr. Ricketts ausgerufen wird. Das ist alles.» Ein Klicken, als die Frau abhing.
Modesty stellte das Gerät ab. Willie saß in einem der großen Lehnstühle nahe dem Aussichtsfenster im Wohnzimmer, stützte die Ellbogen auf die Knie, lehnte sich vor und preßte die Finger an die Augen. Nach einer Weile richtete er sich auf, schüttelte den Kopf und sagte: «Diese Stimme habe ich noch nie gehört, Prinzessin.»
Modesty nickte, ging zum Fenster und blickte über die Terrasse auf den Hyde Park hinunter. Es war Mittagszeit und im Park herrschte reger Verkehr und man sah viele Spaziergänger. Sie sagte ruhig: «Ich bin sicher, daß sie Luke haben. Davon abgesehen, tappe ich völlig im dunkeln.»
Sie trug eine Seidenbluse und Jeans und sah unbeschwert aus.
Vermutlich hätte niemand außer Willie Garvin ihre innere Angst gemerkt. Er sah auf sein auf der Armlehne liegendes Notizbuch und sagte: «Gehen wir alles nochmals durch, Prinzessin. Du hast heute früh mit Luke hier gefrühstückt, dann hast du ihn zum Studio gebracht. Der Mann von der Agentur war auf seinem Posten vor dem Haus.»
«Nicht der, der sonst immer da ist, Willie. Aber derselbe, der gestern abend Dienst machte.»
«Ein falscher Mann, wie sich nun zeigt. Schön. Du hast Luke im Studio abgeliefert, damit er arbeitet, bist eine Stunde im Park spazierengegangen, und als du nach Hause kamst, berichtete dir Weng von dem Anruf, und du spieltest das Band ab. Das war gegen elf Uhr. Du hast im Studio angerufen, und niemand hat abgehoben. Die Agentur teilte dir mit, daß Dick Kingston die Überwachung vor vierundzwanzig Stunden gekündigt habe. Du riefst mich an, ich solle zum Studio fahren, um dies zu verifizieren und mich dann auf die Suche nach Dick zu begeben. Ich fand ihn weder zu Hause noch in seinem
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