Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
tranken eine zweite Tasse Kaffee und schauten das Programm des
National Theatre
durch. Über Fletcher hatten sie kein Wort mehr verloren. Als das Telefon an der Wand schellte, beendete Modesty den Satz, den sie eben sagte, bevor sie hinging.
Dann wurde ihr Gesicht ganz ruhig, sie nahm den Hörer und sagte: «Hallo?»
Jack Frasers Stimme sagte: «Es tut mir leid, aber ich habe schlechte Nachrichten über Dick Kingston.»
«Bleiben Sie am Apparat, Jack.» Sie nickte Willie zu, und er nahm den zweiten Hörer, der unter dem Telefon hing. «Ich habe bloß Willie eingeschaltet. Bitte, los.»
«Die Polizei von Norfolk erhielt heute morgen einen anonymen Anruf von einem Mann, der sagte, in Cawley Fields sei eine Leiche. Nicht weit von Penchurch gibt es ein verlassenes Rollfeld aus dem Krieg.
Die Polizei fand die Leiche in einem der Hangars. Dokumente in der Brieftasche weisen darauf hin, daß der Mann Richard Charles Kingston ist, und das wurde soeben bestätigt.»
Fraser hielt inne, und nach einer Weile sagte Modesty: «Ja, fahren Sie fort, Jack.»
«Sie wollten nichts verlautbaren, bevor sie seine Identität mit Sicherheit festgestellt hatten. Seine Zeitung wußte, daß er ein Ex-Agent war, daher hat man, sobald man die Nachricht erfuhr, Chalmers verständigt, und er hat aus Höflichkeit auch unsere Abteilung informiert.»
«Haben Sie Details?»
«Ich werde Ihnen alle Informationen zukommen lassen. Der erste Bericht stellt nur fest, daß er irgendwann gestern durch eine .45 Kugel in den Kopf getötet wurde, und zwar nicht aus nächster Nähe. Es sind Anzeichen vorhanden, daß seine Handgelenke mit einem Klebestreifen gebunden waren. Es wurde keine Waffe gefunden. Das ist alles, was ich im Moment weiß.»
«Vielen Dank, daß Sie mich gleich angerufen haben.»
«Es tut mir verdammt leid.» Frasers Stimme klang metallisch. «Die MI 6-Leute haben nie zu meinen besten Freunden gehört, aber ich habe einmal mit Dick Kingston gearbeitet, als er für eine Sonderaufgabe abgestellt wurde, und er war in Ordnung.»
«Ja. Wir sind auch traurig.»
«Sagen Sie, Modesty, wissen Sie irgend etwas, das helfen könnte, die Mörder zu finden?»
«Nichts, Jack.»
«Sie müssen etwas wissen, sonst hätten Sie mich nicht schon vorher angerufen.»
«Nichts, das helfen könnte. Falls, und wenn ich …»
«Falls und wenn Sie etwas herausfinden, dann erledigen Sie die Kerle selbst, sonst werden Sie zwei Jahre bedingt bekommen wegen Besitzes einer Feuerwaffe, während Sie unter dem Einfluß von weiß Gott was standen, oder einen ähnlichen Unsinn. Bei unseren jetzigen Vorgesetzten wäre es sogar möglich, daß die Mörder eine Belohnung erhalten, weil sie einen ehemaligen MI-6-Mann umgebracht haben. Und außerdem sollten Sie gut auf Luke Fletcher aufpassen, ja?»
«Das tun wir, Jack.»
«Gut. Ich werde Tarrant informieren, wenn er zurückkommt, aber vermutlich werden Sie nichts von ihm hören. Er wird es Ihnen überlassen zu tun, was Sie für richtig halten. Seien Sie vorsichtig.»
Nachdem sie eingehängt hatte, sagte Willie: «Du sagst ihm immer noch nicht, daß sie Luke haben?»
«Nicht, bevor wir wissen, woran wir sind.» Sie nahm wieder den Telefonhörer und wählte eine Nummer. Als die Vermittlung antwortete, sagte sie:
«Ich möchte einen Mr. Ricketts sprechen. Wollen Sie ihn, bitte, ausrufen lassen?»
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Als Alice Ross von dem Klingeln der Glocke auf Nummer 23, Cheadwell Gardens, Balham, zur Tür gerufen wurde, war sie ein wenig überrascht, einen Geistlichen auf der Treppe stehen zu sehen. Ihrer Ansicht nach sah er eher sonderbar aus mit seiner altmodischen Röhrenhose und dem runden flachen Hut.
Er zog den Hut, als sie die Tür öffnete, und sagte mit ängstlicher, krächzender Stimme: «Wohnt, wohnt hier – ein Mr. Albert Ross, bitte?»
«Ja», sagte sie ein wenig mißtrauisch, «aber er schläft im Augenblick.»
«Sind Sie Mrs. Ross?»
«Ja.»
«Entschuldigen Sie die Störung. Ich heiße Parker.
Harold Parker von der Kirchenmissionsgesellschaft.»
Alice Ross, eine füllige hübsche Frau um die vierzig, hatte seit der Taufe ihres jüngsten Kindes vor fünfzehn Jahren keine Kirche mehr betreten, und es machte sie ein wenig verlegen, einen Geistlichen auf der Türschwelle stehen zu haben. In der Hoffnung, mit einem Zehn-Penny-Stück seinen Abschied beschleunigen zu können, griff sie nach ihrer Börse, doch er sagte rasch:
«Nein, nein, liebe Dame, ich sammle nicht für die Gesellschaft. Vor wenigen
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