Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Garvin gehen, um ihm alles Nötige mitzuteilen. Dann werden wir alle oben im
Dragon’s Heart
, das ist das Haus, in dem wir wohnen, einen gemütlichen Lunch zu uns nehmen. Ich bin überzeugt, daß Sie schrecklich hungrig sind. Sie haben nämlich Ewigkeiten geschlafen. Und nach dem Lunch werde ich Ihnen die
Dragon’s Claw
lnsel zeigen. Sie wurde von Captain Cook entdeckt, und vielleicht werden Sie finden, daß er es dabei hätte belassen können, anstatt auch noch Australien zu entdecken. Jedenfalls erzählt man sich, daß einer seiner Leute hier am Strand einen Haifischzahn gefunden hat und überzeugt war, es sei eine Drachenkralle. Der alte Weltumsegler Cook fand das sehr reizend und taufte die Insel
Dragon’s Claw
. Es ist keine sehr große Insel, und es kommt niemand hierher, weil sie unserem wohlhabenden Patron gehört und außerdem kaum jemand von ihrer Existenz weiß, aber es gibt viel zu sehen, und ich muß Ihnen unbedingt meine Orchideen zeigen. Ich besitze sogar eine Drachenmaulorchidee, die prächtig blüht. Ist das nicht passend? Möchten Sie noch irgend etwas haben? Falls Sie durstig sind, das Leitungswasser ist rein wie das Herz einer Jungfrau. Aber wenn Sie einen klitzekleinen Drink wollen, dann sagen Sie es mir bitte, und ich werde dafür sorgen.»
Nachdenklich blickte Modesty auf die Ecke eines weißen Seidentuches, das aus einer kleinen Tasche unterhalb von Brownes Taille herausragte, und sagte: «Ein .45 Colt. War es Ihr geistlicher Freund, der Dick Kingston getötet hat?»
Beauregard Browne blickte mit vorwurfsvoller Würde auf sie herab. «Uriah handelte als Schwert Gottes, als er einen Sünder vor das Jüngste Gericht brachte», erwiderte er förmlich. Sie studierte immer noch das kleine Dreieck aus weißer Seide. «Und Sie haben Luke Fletcher umgebracht? Nach Art der
Thugs
mit einem
rumal
?»
Den Kopf leicht zur Seite geneigt, sah er sie mit unverhohlenem Interesse an. «Du meine Güte», meinte er schließlich. «Sie sind wirklich ziemlich rasch, meine Lady. Ja, den albernen Luke können Sie auf mein Konto buchen. Wir hatten ihn eben ins Studio zurückgebracht, als etwas, das er gemalt hatte, eine fatale Rückkehr seines Gedächtnisses auslöste. Also mußten wir ihn abservieren.» Er lächelte süß. «Nicht, daß Sie der Grund sonderlich interessiert, glaube ich.»
«Nein. Der Grund interessiert mich nicht.» Weder in ihrer Stimme noch in ihrem Ausdruck lag eine Drohung, als sie mit mitternachtsblauen Augen durch Beauregard Browne hindurchsah, aber irgendwo gab es in diesen Augen eine winzige schwarze Flamme, und zum erstenmal seit vielen Jahren spürte er ein seltsames Erschauern. Erst später wurde ihm klar, daß es ein Anflug echter Angst gewesen war.
An der Tür stehend blickte er sie mit verwundertem Stirnrunzeln an, als sie sich unvermittelt vorlehnte. Ihre Augen blitzten vor Ärger, und sie sagte mit eisiger Stimme: «Wenn Sie diesen verdammten Garvin sehen, dann bestellen Sie ihm, daß das alles
sein
Fehler ist. Ich befahl ihm, die Roper-Geschichte nachzuprüfen, und er fand es nicht der Mühe wert.»
Beauregard Browne fuhr mit einem Finger über seine Brauen und kicherte. Jetzt hatte er seinen Gleichmut wiedergefunden. «Natürlich werde ich es ihm ausrichten, Liebling. Ich liebe Leute, die zanken und streiten. Es ist so unglaublich unterhaltsam, finden Sie nicht? Ich meine, finden Sie nicht auch?»
Eine Stunde später, als ihr eine innere Stimme und die Position der Sonne sagten, es müsse Mittag sein, ertönte durch das Gitter eine tiefe ausländische Stimme und befahl ihr, sich in Sichtweite des Gucklochs niederzusetzen. Die Tür öffnete sich und ein Mann in einem schmutziggrünen Hemd und einer ebensolchen Hose trat ein; ein kräftig gebauter Kerl mit einem dunklen Gesicht und einer Hakennase. Er trug einen Gürtel mit einem im Augenblick leeren Halfter. Die Waffe in seiner Hand war ein Star DP .45. Hinter ihm an der Tür standen zwei Männer in ähnlicher Kleidung. Einer hielt eine Maschinenpistole.
Der erste Mann sagte rasch: «Ich heiße Condori und bin für die Sicherheitsvorkehrungen auf
Dragon’s Claw
verantwortlich. Sie werden jetzt ins Haus geführt. Man hat mir gesagt, daß Sie eine gefährliche Person sind und auf dem Weg gefesselt werden müssen. Bitte, drehen Sie sich um und legen Sie die Hände auf den Rücken.»
Sie folgte ihm ohne Hast und ohne Zögern. Die Zeit zum Handeln würde kommen, wenn sie und Willie überleben wollten, aber jetzt war nicht
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