Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Raumes, des Verlieses? – standen ein Toilettentisch aus Eichenholz und ein Schrank. Auf dem Toilettentisch lagen ihre eigenen Toilettengegenstände.
Sie setzte sich auf, verspürte Übelkeit und wußte, daß man sie betäubt hatte, wußte, daß sie viele Stunden geschlafen hatte. Sie trug immer noch das Nachthemd, das sie im Flugzeug angezogen hatte. Zu ihrer Rechten befand sich ein gewölbter Durchlaß in der Wand, und dahinter konnte sie ein anderes Zimmer sehen. Der Fußbodenbelag war weder kalt noch warm.
Das andere Zimmer war größer und als Wohnzimmer eingerichtet: zwei Schaukelstühle, ein Klapptisch, ein Büfett mit einem Plattenspieler, einem Plattenständer, ein Bücherbrett mit Romanen, ein Stoß Magazine.
Hier gab es Tageslicht, denn in einer Felswand war ein großes Fenster eingelassen, von dem man von etwa zwanzig Meter Höhe über das Meer sah. Als sie das Glas näher betrachtete, sah sie, daß es ein zwanzig Millimeter dickes Panzerglas war, das jedem Angriff standhielt.
In der Wand gegenüber dem Fenster gab es eine Tür mit einem kleinen rechteckigen Guckloch, ebenfalls aus Panzerglas, das im Augenblick außen verhängt war. Es gab keine Klinke, keinen Riegel, kein Türschloß. Die Tür war aus Teakholz, und da man keine Angel sah, mußte sie sich wohl nach außen öffnen.
Neben der Tür war ein kleines Gitter in die Wand eingelassen, und zwei größere Gitter, vermutlich für die Ventilation, befanden sich hoch oben in zwei Ecken des Zimmers.
Vorsichtig prüfte Modesty die Tür, stellte fest, daß sie nicht nachgab, ging in das kleinere Zimmer zurück und fand neben dem Schrank eine zweite Tür. Sie führte in ein Badezimmer mit Toilette, Dusche und Waschbecken. Im Schrank hingen ein paar Sachen aus ihrem Gepäck, zwei Kleider, das schwarze Hemd und die Hose, die sie bei der Arbeit bevorzugte. Auf dem Schuhständer standen drei Paar Schuhe, in die Regale hatte man säuberlich ihre Wäsche und Strumpfhosen eingeordnet.
Mit verschränkten Armen ging sie in den zwei Zimmern hin und her, hielt ihre Ellbogen fest, betrachtete nichts mehr, sondern bewegte sich nur, um die Übelkeit nach der Betäubung loszuwerden, während sie im Geist die Teile des Puzzlespiels zusammensetzte.
Das Wesentliche war ihr dreißig Sekunden nach dem Erwachen klargeworden, und jetzt fügten sich andere unbedeutendere Details zu einem Bild zusammen.
Es fiel ihr nicht leicht, aber sie wußte, daß es notwendig war, jede Gefühlsregung zu ersticken und sich eisern zu beherrschen, denn das, was geschehen war, würde genügen, jede Spur von Selbstvertrauen zu zerstören. Zweimal befielen sie Ärger und Wut, daß sie Willie und sich selbst in eine Falle hatte locken lassen, die man hätte erkennen können. Zweimal mußte sie sich zurückhalten, über die Motive ihrer Feinde nachzugrübeln. Das war ein noch immer unbekannter und rätselhafter Teil des Puzzles. Nach zehn Minuten hatte sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden, und der Ärger war verflogen. Rückschauend ließ sich die Falle natürlich erkennen, aber es hatte kein Verdachtsmoment gegeben, daß sich der Feind schon längst in ihre eigenen Reihen eingeschlichen hatte. Sie hätte ihre eigenen Kontakte nützen können, um die Existenz und die Aktivitäten des Anwalts Mocca und seines angeblichen Brotgebers Roper nachzuprüfen, aber es wäre eine unerträgliche Zeitverschwendung gewesen, und es schien durchaus berechtigt, den gebotenen Informationen Glauben zu schenken.
Ohne etwas wahrzunehmen, blickte sie aus dem großen Fenster und dachte über Sam Solon nach. Er hatte keinen Fehler gemacht. Damals am Fluß hatte er sogar Profis angeheuert, um eine echte, allerdings sorgfältig kalkulierte Schlägerei zu inszenieren, die so geplant war, daß sie und Willie im richtigen Moment auftauchten. Das war ein Schachzug, der jeden Verdacht abgelenkt hatte. Ein beinharter, schmerzhafter Schachzug, aber typisch. Alle Aktionen waren hervorragend durchdacht: das Zusammentreffen mit Solon in Malta, nachdem Frezzis Versuch, Abhörgeräte in der Villa zu installieren, schiefgegangen war; die Beteiligung an Dick Kingstons Nachforschungen; und die häufigen Kontakte mit Luke Fletcher, durch die Solon ständig über die entscheidende Frage informiert war, ob Luke sein Gedächtnis wiedergefunden hatte oder nicht. Irgendwo – das wußte sie – gab es andere Leute hinter Solon und eine Verbindung mit dem Diebstahl der Jadekönigin, aber das war der unerforschte Teil des Puzzles und
Weitere Kostenlose Bücher