Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
hallo.»
Modesty studierte sie einen Moment lang und erinnerte sich an die scharfe Radspeiche in ihrem Rücken, als sie auf der Bank auf dem Trafalgar Square gesessen war, dann sagte sie: «Sie waren dabei, als Dick Kingston ermordet wurde? Und Luke Fletcher?»
Clarissas Lächeln wurde eisig. «Es ergab sich, daß ich beiden Ereignissen beiwohnte.» Ihre Stimme hatte den hochmütig ermahnenden Tonfall einer Schuldirektorin.
«Aber ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich finde, daß Ihre Lage es Ihnen nicht erlaubt, sich über irgend etwas näher zu informieren.»
«Ich weiß gern Bescheid», erwiderte Modesty. Sie drehte sich nach Willie um, der mit seinen Wächtern herankam. Seine Lippen waren zusammengepreßt, und er blickte sie mit kaltem Zorn an. Sie wußte, daß Beauregard Browne die Nachricht weitergegeben hatte und daß sie verstanden wurde. Eine überzeugende Feindseligkeit war eine Täuschung, die sich schon früher einmal bewährt hatte. Als Willie stehenblieb, sagte er: «Du hast uns in eine schöne Schweinerei hineingeritten.»
«
Ich
?» Ihre Stimme war wütend. «Du! Ich war derjenige, der Roper und Mocca überprüfen wollte, bevor wir mit diesem verdammten Australier abflogen …» Er hielt inne und zuckte verächtlich die Achseln. «Ach, lassen wir das.»
Beauregard Browne krächzte entzückt: «Ein Riß im Gemäuer! Nein, ist das nicht einfach köstlich? Hab ich nicht recht, so meine ich? Ihr müßt später noch ein wenig weiterstreiten, jetzt ist Essenszeit. Willie, mein Lieber, seien Sie ein Engel und setzen Sie sich neben Clarissa. Sie wartet schon darauf, Sie ganz für sich zu haben. Und ich werde die reizende, im Augenblick etwas schmollende Miss Blaise begleiten.» Er nahm ihren Arm und führte sie zu einem anderen Jeep.
Sie stolperte, als sie einstieg, und fiel gegen ihn, so daß er sie auffangen mußte. Damit wollte sie seine Stärke kennenlernen, und er war stärker, als sie vermutet hatte. Mühelos und lachend hob er sie in den Sitz.
Als er sich neben sie setzte, murmelte sie wütend wie zu sich selbst: «Dieser Klugscheißer Garvin ist etwas zu üppig geworden.»
Beauregard Browne grinste. «Er sagte mir eben, daß er es langsam satt habe, von einem Frauenzimmer herumkommandiert zu werden.» Eine lässige Handbewegung. «Aber ich sagte ihm, was ich Ihnen jetzt sage, Puppe. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich meine, es dauert ja nicht mehr lange, nicht wahr?»
In dem kühlen Eßzimmer nippte Dr. Feng an einem Glas Weißwein, das einer der drei indonesischen Bediensteten angefüllt hatte, und studierte Modesty Blaise.
Sie und Garvin saßen ihm gegenüber. Reverend Uriah Crisp saß neben Dr. Feng, eine Tatsache, die Dr. Feng sehr beruhigte. Er hatte den Eindruck, daß die beiden Neuankömmlinge überaus gefährlich waren, und es war gut, den paranoiden Priester mit seinem Revolver neben sich zu wissen. Die beiden trugen keine Fesseln mehr, und wenn es notwendig sein sollte, würde Uriah rasch handeln. Es war auch gut, daß zwei bewaffnete Wächter nur zwei Schritte entfernt hinter Modesty Blaise und Willie Garvin standen.
Clarissa saß an einem Tischende mit Garvin zu ihrer Rechten, am andern Ende saß Beauregard Browne mit Modesty Blaise zu seiner Linken. Die Anordnung war zufriedenstellend, fand Dr. Feng und entspannte sich.
Jetzt konzentrierte er sich ganz auf die beiden Gefangenen, um der zwischen ihnen herrschenden Feindseligkeit auf den Grund zu kommen. Beide schienen über etwas vor sich hin zu brüten. Sie hatten keine Fragen gestellt und kaum geantwortet, wenn jemand zu ihnen sprach.
Beauregards Laune wurde dadurch allerdings keineswegs beeinträchtigt. Seit sie bei Tisch saßen, plauderte er munter vor sich hin, hauptsächlich mit Clarissa, und gab vor, das mangelnde Interesse seiner Gäste wider Willen nicht zu bemerken. Er demonstrierte seinen schottischen, walisischen, irischen und pakistanischen Akzent; er führte mit Clarissa kichernd einen «Erinnerst-du-dich»-Dialog, bei dem ihm Clarissa nur die Stichworte lieferte, und aus dem klar hervorging, wie zuerst Kingston und später Fletcher gestorben waren.
Jetzt sagte er vergnügt: «Ich glaube allerdings, ich glaube wirklich, daß Uriahs Erlösung des sündigen Polizisten in Amsterdam seine bemerkenswerteste Vorstellung war. Das war an dem Tag, als wir den Hsuan-te-Stuhl aus dem Museum holten, wenn du dich erinnerst. Ein nettes Ablenkungsmanöver.»
Der lange Unterkiefer des Priesters hörte zu kauen
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