Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
der Kampf war hart – ein Springen und Klettern, ein Lauern im Hinterhalt zwischen Kisten und Maschinen und den verschiedensten Waren, die das schwach beleuchtete Lagerhaus füllten. Als Rodelle herabfiel, blieben nur noch zwei übrig.
Sie erinnerte sich an die kleine massive Gestalt, die mit gezücktem Messer und verblüffender Behändigkeit aus dem Schatten eines Gabelstaplers hervorsprang.
Instinktiv schlug sie mit dem Kongo zu, um seine Hand zu lähmen, sprang zur Seite und traf mit dem zweiten Schlag genau die Stelle hinter dem Ohr. Er war zu Boden gegangen, und jetzt erinnerte sie sich sogar, wie viel Glück sie in diesem Zweikampf gehabt hatte, dass sie ihn im Bruchteil einer Sekunde für sich entscheiden konnte. Nur wenige Kriminelle waren im Kampfsport geschult, aber dieser hatte sich als Meister erwiesen.
Während er betäubt zu Boden fiel, ertönte in der Dunkelheit ein markerschütternder Schrei, ein Schrei, der plötzlich abbrach, während ein letzter Schuss, von dem Finger eines toten Mannes ausgelöst, vom Motor eines Lastenaufzuges abprallte und an ihren Beinen vorbei den Mann zu ihren Füßen im Arm traf. Blut spritzte hervor. Willie Garvin erschien und sagte: »Das war der letzte von ihnen, Prinzessin. Ich höre schon die Polizeisirenen.«
Modesty und Willie trugen Taucheranzüge; sie waren vom Bosporus gekommen. Ihre Taucherausrüstung lag unten auf der Holztreppe, die von einer Falltür ins Wasser führte. Sie hob ein Stück galvanisierten Draht auf und sagte: »Los, geh.« Während sie neben der breiten Gestalt niederkniete, sagte Willie: »In Ordnung«, und entfernte sich rasch. Im ›Netz‹ wurden ihre Befehle nicht in Frage gestellt. Sie schob den Draht oberhalb der Wunde, aus der das Blut strömte, über den Arm, zog ihn fest an und drehte die Enden zusammen.
Jetzt hörte man mehrere Sirenen. Sie waren sehr nahe. Das hervorquellende Blut wurde zu einem Tröpfeln. Vage bemerkte sie die kleinen Augen in dem großen hässlichen Gesicht, die jede ihrer Bewegungen verfolgten. Dann stand sie rasch auf und folgte Willie Garvin.
In der Halle vor dem
bait-at-ta’ah
hatte Little Krell nicht länger als fünf Sekunden gesprochen. »… ich war einer von Rodelles Leuten damals im Lagerhaus und …«
Mit einer Handbewegung hieß sie ihn schweigen, entspannte sich und sagte: »Jetzt erinnere ich mich.«
»An alles, Mam’selle?«
»Alles, was wichtig ist. Ich hab dich nicht verbluten lassen. Meinst du das?«
»Doktor sagt mir, Draht hat mich gerettet.« Er klopfte mit einem Finger auf die Stirn. »Seitdem immer ich sehe Ihr Gesicht, Mam’selle. Hier im Kopf. Als Arm besser ist, ich versuche Platz im ›Netz‹ zu bekommen.« Er legte eine Hand auf die Brust. »Ich großen Respekt vor Ihnen haben. Möchte Ihnen dienen, wie man es von Willie Garvin sagt. Aber geht nicht. Ihr Mann, der anstellt, Garcia, er sagt Nein. Er weiß, Little Krell hat für Rodelle gearbeitet. Er weiß, Mam’selle will nicht so schlechten Mann.«
Sie wandte sich zu Willie und blickte ihn voll Staunen an. Er grinste spöttisch und sagte: »Wer Liebe sät, wird Liebe ernten.«
»Jedenfalls hat er sich einen guten Zeitpunkt ausgewählt.« Sie drehte sich wieder zu Little Krell um und fragte auf Französisch: »Können wir an den Hubschrauber herankommen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht möglich. Die Hunde machen Lärm und viele Leute kommen. Aber eine Sache ist gut. Der Pilot schläft in Hütte nahe Werkstatt. Allein.«
»Warum ist das gut?«
»Weil er jetzt tot, Mam’selle. Ich ihn töten, bevor hierher gehen, so kann er nicht durch Luft nachkommen, wenn wir Lastwagen nehmen.«
Sie atmete tief aus und schob eine Strähne aus der Stirn. »Du machst die Dinge sehr gründlich, Little Krell.«
»Mam’selle?«
»Nichts. Kannst du dich in Xanadu frei bewegen?«
»Ja, Mam’selle.«
»Dann möchte ich, dass du jetzt zum Spital gehst und …«
Sie hielt inne und lauschte. Man hörte leise schlurfende Fußtritte. Little Krell sprang vor, jetzt hatte er wieder den Revolver in der Hand. Aus dem Korridor trat Giles Pennyfeather. In einer Hand hielt er seinen großen, schäbigen Koffer, mit der anderen hatte er den Arm eines Mädchens umfasst, dessen prachtvolles blondes Haar zu einer schicken Pilzkopf-Frisur geschnitten war. Sie war mittelgroß, hatte üppige Formen und trug eine dunkle Hose mit einem grauen Pullover. Ihr gut geschnittenes Gesicht war von bemerkenswerter Schönheit, aber im Augenblick waren die grauen
Weitere Kostenlose Bücher