Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
erhalten wir nochmals eine Bestätigung.« Eine Weile herrschte Schweigen, dann fuhr der Fahrer zögernd fort: »Bitte entschuldigen Sie meine Frage, El Mico, aber hat man bedacht, wie Modesty Blaise auf einen Mord an einem ihrer Hausgäste reagieren wird?«
»Man hat es bedacht«, erwiderte der andere. »Ihre Reaktion kann nicht von Wichtigkeit sein. Ihre Organisation existiert nicht mehr. Sie hat keine Leute, keine Augen, keine Ohren, keine Autorität mehr.«
Aber sie ist immer noch Modesty Blaise, dachte der Fahrer. Doch er sprach seine Gedanken nicht aus, denn er hatte aus der Erfahrung anderer Leute gelernt, dass es unklug war, El Mico zu irritieren.
Der Mann im dunklen Anzug bückte sich, hob den Apparat zu seinen Füßen auf, schnallte den Behälter auf den Rücken und befestigte die Riemen um seine Schultern.
Inspektor Hassan Birot lehnte sich weit in den ledernen Armsessel zurück, trank einen Schluck des ausgezeichneten Kaffees und freute sich, dass es zu seinen Pflichten gehörte, das Mädchen anzusehen, das ihm gegenübersaß.
Offenbar war sie, als er kam, im Schwimmbad gewesen, denn ihr feuchtes Haar war, sichtlich in Eile, aufgesteckt.
Sie trug Sandalen und ein kornfarbenes Sommerkleid.
Inspektor Birot nahm an, dass sie darunter nichts anhatte, erlaubte sich jedoch nicht, diese Vermutung länger auszuschmücken; er besaß eine puritanische Ader.
Halb Franzose, halb Araber, dominierte bei ihm die letztere Hälfte, und daher war er erfreut, dass Modesty ganz selbstverständlich auf seine Art, ein Thema zu behandeln, einging und eine lange, höfliche Einleitung als gegeben hinnahm. Sie hat sich verändert seit damals, dachte er. Jetzt konnte er eine gewisse Wärme und Weichheit feststellen. Das war verständlich. Obwohl sie sich in der Zeit des ›Netzes‹ kalt und hart gegeben hatte, war inzwischen klar geworden, dass die andere Seite ihres Naturells schon damals unter der Fassade vorhanden war und sich gelegentlich in Handlungen manifestierte, die sein Erstaunen hervorriefen.
»Manchmal wünschte ich, Sie hätten Ihre Geschäfte hier weitergeführt, Miss Blaise«, sagte er. Er gebrauchte immer die englische Form der Anrede, anstelle des »Mam’selle«, weil alle Mitglieder des ›Netzes‹ sie Mam’selle genannt hatten, alle außer Willie Garvin. »Sie haben viel Zeit darauf verwendet, dafür zu sorgen, dass ich nicht im Geschäft blieb, Inspektor«, sagte sie scheinbar vorwurfsvoll.
»Ja, in den ersten Jahren, aber dann …« Er winkte ab. »Dann kam ich zu dem Schluss, dass Sie Drogen und Laster wirkungsvoller bekämpft haben als meine eigene Abteilung.«
»Meine Hände waren nicht durch Vorschriften gebunden.«
»Trotzdem.« Er zog an der Zigarette, die sie ihm angeboten hatte, und blies den Rauch aus. »Sie haben sich wirklich bemüht, die schlimmsten Organisationen zunichte zu machen.«
Sie lächelte. »Sie dürfen mich nicht mit einem Kreuzfahrer verwechseln. Ich habe nur besseren Gebrauch von den Möglichkeiten gemacht.«
»Was immer Ihre Gründe waren, ich weiß nur, dass diese Dinge schlimmer wurden, seit Sie sich aus dem Geschäft zurückgezogen haben, Miss Blaise. Die Verbrechen werden blutiger, gemeiner und schrecklicher.«
»Nicht nur hier, Inspektor. Überall.«
»Ja, das höre ich, aber natürlich bin ich vor allem daran interessiert, meinen eigenen Garten zu jäten.
Wissen Sie, wer, seit Sie das ›Netz‹ aufgegeben haben, alle großen Verbrecherorganisationen in Nordafrika kontrolliert?« Sie erwiderte: »Ich habe viele Freunde hier, und sie erzählen mir alles Mögliche, obwohl ich immer betone, dass ich nicht mehr daran interessiert bin. Ich hörte den Namen El Mico.«
»Ja, El Mico. Der Affe. Darf ich fragen, was Sie über ihn wissen?«
Sie saß, die Knie eng zusammen, aufrecht, aber entspannt in ihrem Stuhl. Die Hände ruhten in ihrem Schoß. Nachdenklich und ernst wandte sie ihr Gesicht ein wenig ab, während sie seine Frage überdachte. Der Inspektor verspürte so etwas wie einen Schock, als er sie beobachtete. Es schien, als hätte sich die Zeit zurückgedreht und sie sei wieder siebzehn Jahre. So hatte er sie in Erinnerung, so hatte sie ausgesehen, als er sie zum ersten Mal im Klub in der Rue d’Italie befragte, kurz nachdem sie die kleine Louche-Gang übernommen hatte.
Jetzt sagte sie: »Soviel ich weiß, regiert El Mico, indem er seinen Leuten Angst einjagt. Seine wesentlichen Operationen betreffen den Drogenhandel und das Geschäft mit
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