Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
zeichneten sich scharf ab. »Baillie-Smythe ist da.«
»Hier? Aber er sollte sich doch zwei Meilen vor der Küste von der
Kythira
melden. Dann fahren wir hin und nehmen das …« Er hielt inne. »Das Objekt.«
»Richtig, aber leider hat Gautier genau das getan, und zwar vor
sechs Tagen
! Zieh dich an und komm sofort herunter. Nannie wartet.« Bebend vor Zorn, drehte er sich um und ging. Jeremy brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was geschehen war, dann wurde ihm eiskalt vor Schreck, und er kletterte aus dem Bett. Als er drei Minuten später das Arbeitszimmer betrat, saß Nannie Prendergast hinter dem großen Schreibtisch und Dominic an einem Ende.
Ein großer Mann in einer Matrosenjacke saß etwas vom Schreibtisch entfernt, die langen Beine von sich gestreckt, auf einem Stuhl. Er hatte dichtes braunes Haar, ein aristokratisches Gesicht und trug ein gleichgültiges Benehmen zur Schau. Es war Edmund St. Clair Baillie-Smythe, einer der fünf Männer, die wussten, wer El Mico war. Niemand sprach. Jeremy setzte sich seinem Bruder gegenüber und nickte Baillie-Smythe zu, der den Gruß erwiderte, ohne die Miene zu verziehen. Nannie Prendergast trug ein dunkelgrünes Kleid und hatte ihr Haar zu einem Zopf geflochten. Wie immer sah sie adrett aus und schien auf den ersten Blick gelassen und kühl, wie es ihre Art war. Aber die seltsam widersprüchlichen Züge waren zu starr, die Haltung zu unnatürlich ruhig. Jeremy wusste, dass sie sehr zornig war.
»Kapitän Baillie-Smythe ist vor einer Viertelstunde hier angekommen, Jeremy«, sagte sie mit gepresster Stimme. »Er berichtet, dass unsere Mannschaft die Operation Pfau erfolgreich durchgeführt hat. Das Objekt ist, wie vereinbart, mit einer kleinen Maschine in die Türkei geflogen worden, und Kapitän Baillie-Smythe hat es vier Tage vor dem vereinbarten Liefertermin erhalten, als er bei Mersin vor Anker lag. Er ist sofort in See gestochen und hat, wie befohlen, Funkstille gehalten, bis er vergangene Woche in der Nacht zwei Meilen nördlich von hier den Treffpunkt erreicht hat. Dann hat er uns angefunkt; das war unglückseligerweise letzten Mittwoch.«
Dominic sah zu seinem Bruder hinüber und sagte:
»Nannie war mit dem Sekretär des Jachtklubs zum Abendessen verabredet, ich musste ein neues Haus in Rabat ansehen, und dein Flugzeug hatte Verspätung. Aus diesem Grund haben wir Gautier hergebracht. Er sollte ein paar Stunden am Funkgerät sitzen. Edmunds Funkspruch muss in diesem Zeitraum gekommen sein.«
Baillie-Smythe nickte. »Er wurde um 21 Uhr 30 in das Logbuch eingetragen«, sagte er mit kultivierter Stimme. »Zehn Minuten später habe ich eine Antwort im Standard-Code erhalten, die besagte, dass Nummer vier das Objekt abholen würde. Das war Gautier. Er ist in dem kleinen Boot gekommen, und ich habe ihm das Objekt ausgehändigt. Er hat mir neue Instruktionen gegeben: Ich sollte sofort in See stechen und vor Algier ein Schiff aus Libyen treffen, um Handfeuerwaffen für die IRA an Bord zu nehmen. Wir haben zwei Tage am vereinbarten Treffpunkt gewartet, aber es kam kein Schiff aus Libyen. Ich hatte Befehl, Funkstille zu halten, also habe ich schließlich die
Kythira
wieder hergebracht. Was schief gegangen ist, weiß ich immer noch nicht.«
Jeremy Silk öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, überlegte es sich jedoch anders und sah Nannie Prendergast an. Sie dachte eine Weile nach, dann sagte sie: »Es tut mit leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Gautier sich unloyal zeigte, Kapitän Baillie-Smythe. Er wurde zum Verräter und ist tot.«
Der Kapitän spitzte die Lippen und starrte seine Stiefelspitzen an. »Ich bin mir keiner Schuld bewusst, Miss Prendergast«, sagte er. »Gautier hat mir schon öfter Ihre Befehle übermittelt, und ich hatte keinen Grund zur Annahme, dass die Instruktionen diesmal nicht von Ihnen stammten.«
»Sprach er mit Ihnen über das Objekt? Stellte er Fragen?«
Baillie-Smythe schüttelte den Kopf. »Keinerlei Fragen. Auch hätte ich keine Antworten gewusst. Objekt ist ein Codewort für das, was immer sich in dieser Stahlkassette mit dem speziellen Schloss und dem Siegel befunden hat. Ich habe keine Ahnung, was es gewesen ist.«
Sie legte ihre breiten, arbeitsgewohnten Hände auf den Schreibtisch und sagte: »Sie trifft keine Schuld, Kapitän. Bitte gehen Sie morgen in Melilla vor Anker, und kommen Sie Samstag wieder hierher, um weitere Instruktionen entgegenzunehmen. In Malta muss eine große Ladung von gestohlenen Autoteilen
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